Mit dem Ehrenamtspreis "merk|würdig" zeichnet die Aidshilfe NRW seit 2007 Menschen aus, die durch ihr ehrenamtliches Engagement besonders hervortreten und die Aidshilfearbeit in Nordrhein-Westfalen stark beeinflusst und geprägt haben. Am 25. April 2017 bekam der Landesvorsitzende des Schwulen Netzwerks NRW, Steffen Schwab, die Auszeichnung für seine Verdienste um die strukturelle Prävention in NRW im Maxhaus in Düsseldorf überreicht. Gabriele Bischoff, Geschäftsführerin der LAG Lesben in NRW hielt die Laudatio (PDF). Hier gibt es Steffen Schwabs Dankesrede zum Nachlesen: Liebe Vorstände, liebe Freundinnen und Freunde der Aidshilfe NRW, liebe Gabriele, sehr geehrte Damen und Herren, diese Rolle ist neu für mich. Nicht selbst eine Versammlung als Gastgeber begrüßen, nicht selbst eine Preisträgerin und einen Preisträger würdigen. Sondern eine Auszeichnung entgegennehmen. Dabei ist eigentlich ganz leicht: Man dankt – für die Auszeichnung, für die würdigenden Worte. Man wird ein bisschen rot angesichts des grünen Klees, besonders als Westfale, dem das große Reden über sich selbst nun gar nicht in die Wiege und auch nicht sonstwohin gelegt ist. Man ist immer noch ein bisschen rot. Man ist gerührt. Man fühlt sich geehrt, dankt. Und nimmt wieder Platz. Das wäre die Pflicht. Ich habe mich, als Arne Kayser mir vor gut einem Monat über die Entscheidung des Vorstandes der Aidshilfe NRW berichtet hat, mich mit dem Ehrenamtspreis merk|würdig auszuzeichnen, von vornherein für die Kür entschieden. Soll heißen: Ich möchte in ein paar Sätzen erklären, warum ich mich über diesen Preis so sehr freue.
Eigentlich nur in zwei, dafür aber ziemlich langen Sätzen. In dem einen geht es um Geschichte. Und in dem anderen um Identität.
Als ich Anfang der 1990er Jahre in Siegen zur dortigen Schwulen Initiative fand und damit meinen Einstieg ins schwule Ehrenamt, traf ich auf so etwas wie Ambivalenz: Wir arbeiteten auf Tuchfühlung mit der örtlichen Aidshilfe – einer genauso sympathisch kleinen übrigens wie die in meinem heutigen Wohnort Bergisch Gladbach, über die wir heute ja auch sprechen. Wir nutzten Räume gemeinsam, zum Beispiel für das „rosa“ Beratungstelefon, bewarben und unterstützten wechselseitig unsere Veranstaltungen. Als wir unser erstes Schwulenzentrum aufmachten, war ein Café +, das + für positiv, fester Programmbestandteil. Und eigentlich war es für bewegte Schwule in Siegen zu dieser Zeit auch selbstverständlich, Mitglied der Aidshilfe zu sein. Ambivalent, zumindest auf den ersten Blick, war indes unser Kommunizieren über HIV und Aids. Wir legten, nach innen und nach außen, allergrößten Wert darauf, dass Schwulsein mehr ist als die Zugehörigkeit zu einer Betroffenengruppe. Zum einen natürlich, um Angst zu nehmen und Mut zu machen zu einem selbstbestimmten, offenen Leben. Zum anderen aber auch, um unseren Anspruch auf gleiche Rechte für unsere Minderheit zu bekräftigen, die sich nicht in der Opferrolle konstituieren wollte. Nicht noch einmal. Der 175 war ja noch nicht weg.
Sie merken, ihr merkt, wo ich hin will: auf das, was Aidshilfe als größtes schwules Selbsthilfeprojekt aller Zeiten mit der zweiten deutschen Schwulenbewegung grundlegend verbindet. Auf HIV und Aids, die wie der Paragraf 175 die Identität schwuler Generationen geprägt haben. Und auf eine schwule Selbstorganisation, die begriffen hat, dass wir mit der Arbeit gegen Diskriminierung und Kriminalisierung, für die Gestaltung von Schutz- und Lebensräumen auch Grundvoraussetzungen für ein gesundes schwules Leben schaffen – technisch, fördertechnisch, ist das bis heute strukturelle Prävention.
Dieses wunderbare Zusammenspiel von Selbsthilfe, Prävention und aktiver Minderheitenpolitik darf ich seit 1998 als Vorstandsmitglied des Schwulen Netzwerks auf Landesebene begleiten und auch ein Stück mitgestalten. Ich habe in dieser Zeit die damalige Büro- und heutige Immer-Noch-Hausgemeinschaft der beiden Geschäftsstellen von Aids-Hilfe und Netzwerk, ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erlebt und ungemein engagierte Menschen kennen gelernt. Ich habe im Vorstand unseres Landesverbandes mit tollen, bewegten Kollegen wie Reinhard Klenke und Oliver Schubert über viele Jahre zusammenarbeiten dürfen. Und natürlich mit Patrik Maas, dem Wanderer zwischen unseren beiden Mikrokosmen – gerade diese drei haben einen großen Anteil daran, dass ich immer wieder neu Klarheit über Sinn und Ziel unseres gemeinsamen Tuns gewinnen konnte. Und dass mir meine Arbeit auch Spaß macht.
Das war der erste Satz. Der zweite wird geringfügig kürzer.
Sie merken, ihr merkt, dass ich gelegentlich über schwule Identität spreche, was in Zeiten von LGBTIQ*, LSBTTI* und Queer ein wenig altbacken klingt. Oder sogar provozierend, wo Schwules Netzwerk und LAG Lesben, deren Geschäftsführerin Gabriele Bischoff mich eben nachhaltig zum Erröten brachte, sich doch gerade anschicken, Möglichkeiten einer neuen, gemeinsamen, umfassenderen Struktur der Selbstorganisation unserer Minderheiten in NRW auszuloten.
Ebenso überkommen wäre ein Bild von HIV und Aids ohne Schutz durch Therapie und ohne PreP. Auch das hat natürlich Konsequenzen für die zukünftige Ausrichtung der Aidshilfen. Kurzum: Wir, das Schwule Netzwerk NRW und die Aidshilfe NRW, sind beide auf dem Weg.
Diesen Weg, das wäre unser Wunsch als Schwules Netzwerk, sollten wir auch in Zukunft gemeinsam gehen. Mit unseren Mitgliedsorganisationen. Denen ich, und das kann ich jetzt natürlich nur in die eigenen Reihen hinein sagen, wünsche, dass sie sich ihres gemeinsamen Projekts, ihrer Zugehörigkeit zu ihren schwulen, lesbischen, queeren Minderheiten vergewissern und der Verlockung von Beliebigkeiten widerstehen. Denn ohne Identität, ohne Bekenntnis zu einem Leitbild, ohne eine Vision, eine verbindende Qualität, wird Interessenvertretung kraftlos.
Eine Interessenvertretung, und das sage ich dann doch nach außen, auch zu unseren hier anwesenden Gästen aus der Landespolitik und der Landesverwaltung, eine Interessenvertretung, die sich immer wieder, falls man das über sich selbst überhaupt sagen sollte, als konstruktiver, kritischer Gesprächspartner und bürgerschaftlicher Akteur bewährt hat und auch für die Zukunft empfiehlt.
Denn wir denken nicht daran, uns Zug und Zug mit Fortschritten bei der Gleichbehandlung überflüssig zu machen. Inklusion, um auch diesen maximal missverstandenen Begriff zu verwenden, ist etwas anderes als das Weg-Integrieren von Minderheiten – Inklusion fordert eben auch, dass die Mehrheitsgesellschaft sich verändert. Dafür steht der Landesverband, für den ich hier spreche – und nicht anders schätze ich auch den Landesverband ein, der heute unser Gastgeber ist.
Die Mahnung, dass wir uns der bereits erkämpften Rechte, der bereits errungenen Akzeptanz nie allzu sicher sein sollten, hat so manche, so mancher hier im Raum in den letzten Jahren immer wieder ausgesprochen. Sie, diese Mahnung, ist heute angebrachter denn je.
In diesem Sinne, liebe Freundinnen und Freunde: Ich nehme den Ehrenamtspreis merk:würdig so entgegen, wie wir als Schwules Netzwerk auch unsere Kompassnadeln verleihen – als Verpflichtung, an unserem gemeinsamen Projekt weiterzuarbeiten.