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Reinhard Klenke im Interview

Reinhard1 swMit Reinhard Klenke verlässt ein Mitstreiter das Schwule Netzwerk NRW, der die Verbandsarbeit als ganz persönliche politische Aufgabe versteht. Am 24. Januar 2014 ernennt ihn das Netzwerk beim seinem Neujahrsempfang zum ersten Ehrenmitglied des Verbandes. Es würdigt Reinhard damit für seine herausragenden Verdienste. Im Interview erzählt er von den wichtigsten Stationen auf seinem Weg. 

Reinhard, wie hast Du zur Politik gefunden?
In meiner Heimatstadt habe ich in der Kolpingjugend jemanden kennengelernt, der sehr stark zu meiner Politisierung beigetragen hat. Als wir gemerkt haben, wie reaktionär Kirche ist, ist quasi die gesamte Jugendgruppe zu den Jusos übergetreten und wir haben Wahlkampf für die SPD gemacht. Das war 1972 für Willy Brandt. Das hat mich politisch sehr geprägt.

Also nicht über den klassischen Bildungsweg?
Ich habe die Schule gehasst, weil ich ständig mit Lehrern zu tun hatte, die im Dritten Reich schon aktiv waren. Die haben ihre Nazi-Ideologie nach dem Krieg christlich verbrämt einfach weitergetragen. Menschen, die nicht ihren merkwürdigen Vorstellungen entsprachen wurden diskriminiert. Da bin ich auf Dauer rebellisch geworden. Das ging vielen in meiner Generation so, dass die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus dazu geführt hat, dass sie politisch wurden.

Und Dein familiäres Umfeld?

Ich komme aus einer konservativen Stadt, aus einer katholisch-kleinbürgerlichen Umgebung. Als ich mich bei den Jusos engagiert habe, hat mein Patenonkel voller Entsetzen verkündet: „Den hab ich übers Taufbecken gehalten?“ Ich bin in die SPD eingetreten und war im Ortsvereinsvorstand. Da gab es diesen Veränderungswillen, man wollte Abschied nehmen vom konservativen Muff. Ich erinnere mich an eine Kundgebung mit Willy Brandt in Paderborn. Die Begeisterung in einer so reaktionären und konservativen Stadt war unglaublich. Das war ein Schlüsselerlebnis für mich. Das ging allerdings nicht lange gut, als Helmut Schmidt Kanzler wurde, bin ich wieder ausgetreten. Das war nun überhaupt nicht mehr meine Richtung.

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Zwischen SPD und Schwulenbewegung lag damals aber auch ein Stück Weg, oder?
In diesem Zusammenhang war meine Schwester eine wichtige Person. Die studierte damals in Münster, war politisch links engagiert und hat mir mit Informationsbroschüren die ersten Kontakte zu Schwulengruppen vermittelt. Da habe ich zum ersten Mal überhaupt mit dem Thema zu tun bekommen. Ich musste mir das ziemlich mühselig erarbeiten.

Warum mühselig?
Ich gehöre ja zu denen, die in der Pubertät die Ausläufer des Paragraphen 175 noch mitbekommen haben. Über Homosexualität habe ich zum ersten Mal bei Sigmund Freud gelesen, es gab ja keine Informationen. Nachdem meine Schwester mir die Broschüren mitgebracht hatte, hat es aber noch lange gedauert, bis ich mich getraut habe, in Bielefeld zu einem Treffen der Schwulengruppe im Frauenzentrum zu gehen. Danach ist wieder eine lange Zeit vergangen, bis ich mich in Paderborn in die Paderborner Aktion Homosexualität getraut habe.

Wie alt warst Du bei Deinem Coming-out?
Da war ich 22. Ich habe zuerst meine Geschwister aufgeklärt. Weil meine jüngere Schwester das für so selbstverständlich hielt, hat sie das zuhause ausgeplaudert. Da hatte ich erst einmal ein halbes Jahr Hausverbot und meine Eltern wollten erst einmal nichts mehr mit mir zu tun haben. Das hat sich dann nachher Gott sei Dank wieder gelöst. Der erste Besuch in der Bielefelder Schwulengruppe war aber für mich eine ziemlich abschreckende Veranstaltung, muss ich sagen. Die waren berüchtigt für ihre besondere Art mit ihrem Schwulsein umzugehen. Ich hatte den Eindruck, dass man da erst akzeptiert war, wenn man mindestens einmal im Fummel in der Straßenbahn quer durch Bielefeld gefahren war. Die kamen mir alle so tuntig vor, dass ich mich zwei Jahre nicht mehr getraut habe, weitere Schritte zu wagen.

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In erster Instanz also keine Befreiung?
Nein, eher ein Rückschlag. Ich kam ja aus kleinbürgerlichen Verhältnissen und das war ein richtiger Kulturschock.

Aber dann kam die Paderborner Aktion Homosexualität.
Das war aber deutlich später. Damals trat das Theaterensemble „Brühwarm“ mit Corny Littmann in Paderborn auf. Bei uns in der Mensa hatte ich Zettel gesehen mit der Ankündigung des Auftritts und dem Hinweis, dass danach eine Schwulengruppe gegründet werden sollte. Diesen Zettel musste ich unauffällig in meine Tasche transportieren – ich war ja mit Kollegen da.

Du warst also von Anfang an dabei?
Ziemlich früh, beim zweiten oder dritten Treffen. Das war 1978 und eine eher beängstigende Geschichte. Da saßen wir mit fünf, sechs Leuten in einem aufgelassenen Ladenlokal mit riesigen Schaufenstern und jeder konnte reingucken. Draußen kamen dann immer irgendwelche Jugendlichen vorbei und machten Randale. Das war insgesamt eine eher bedrückende Atmosphäre.

Was habt Ihr da gemacht oder besprochen?
Beispielsweise wer zum Homolulu-Kongress nach Frankfurt fahren würde. Irgendwann haben wir mal einen Moraltheologen aus der Katholischen Fakultät aus Paderborn eingeladen. Paderborn und Katholisch, das war ja eine Einheit. Der hat sich zunächst einer lockeren Podiumsdiskussion gestellt und sich dann zum Schluss aber mit der Aussage verabschiedet, dass wir natürlich alle Sünder seien.

Nach einem richtigen Befreiungsschlag klingt aber auch die PAH noch nicht.
Das war absolut mühsam, das war Durchhalten. Jeder Abend bedeutete im ersten Jahr eine unheimliche Überwindung. Spannend wurde es erst, wenn man dann in die verbotene Sub ging, also in die zwei Schwulenkneipen, die es in Paderborn gab. Das war ja völlig verpönt, als Schwulenbewegter ging man offiziell natürlich nicht in solche Lokale. Aber natürlich war das der Ort, an dem man Sexualkontakte aufbauen konnte. Diese merkwürdige Distanzierung von der kommerziellen Subkultur hat sich noch lange gehalten.

TB PlastikherzWann wurde es denn einfacher oder selbstverständlicher?
Irgendwann haben wir bei der Uni einen Fuß in die Tür bekommen. Die evangelische Hochschulgemeinde hat sich als sehr liberal erwiesen und uns Räume für Feiern zur Verfügung gestellt. „Das wärmste Fest des Jahres“ war damals schon legendär. Da trafen sich Lesben und Schwulen aus der ganzen Region und das kam uns mit 100, 150 Leuten unheimlich groß vor. Dann habe ich meinen ersten Freund kennengelernt, der mir ganz neue Räume erschlossen hat. Er studierte in Gießen und ich konnte sozusagen in zwei Welten leben – ganz frei in Gießen und etwas verklemmter in Paderborn.

Und dann kam die Aids-Krise, nehme ich an?
1981 war eine richtige Zäsur für mich. Da habe ich im „Spiegel“ einen Bericht über mysteriöse Erkrankungen von schwulen Männern in Los Angeles gelesen und hatte so ein Gefühl, dass mich das noch lange beschäftigen würde. Damit habe ich leider nicht daneben gelegen. Damals gab es ja diese Artikel im Spiegel, in den regelrecht apokalyptisch beschrieben wurde, was die schwule Szene noch erwarten würde. Das war alles noch unglaublich weit weg, noch lange bevor die ersten Freunde krank wurden. Aber es gab die Angst vor dem, was noch kommen könnte. Dass all das, was wir so mühsam aufgebaut hatten, alles wieder vom Tisch gewischt werden würde. Damals habe ich in der Verwaltung der Uni Paderborn gearbeitet. 1986 habe ich die Aids-Hilfe Paderborn mitbegründet und bin dann in die Aids-Arbeit auf NRW-Ebene gewechselt.

Du bist der Krankheit also ein Stück weit gefolgt.
Ja. Aber mir war klar, dass ich im Bereich der Lobbyarbeit, der politischen Arbeit, der Aufklärungsarbeit unterwegs sein werde. Ich wollte eine gewisse Distanz zu dem unmittelbaren Geschehen zu halten. Ich wäre beispielsweise nicht in die Pflege gegangen. Trotzdem hat mich das Thema dann eingeholt. Wenn Freunde erkranken, kannst Du Dich nicht mehr in die Distanz zurückziehen.

Wann kam Aids zum ersten Mal näher an Dich heran?
Das war erst in Köln. In Paderborn noch gar nicht, aber in Köln ging das sehr schnell. Da habe ich beispielsweise die ersten Positiven mit Kaposi gesehen. Ich gehöre zu einer Generation, der viel mit abgebrochenen Biografien zu tun hat. Viele Freunde und Menschen aus meinem Bekanntenkreis sind nicht alt geworden, weil sie an Aids verstorben sind. Wenn ich Freunde aus den 90er Jahren „treffen“ will, dann gehe ich ans Kalte Eck unten in der Altstadt, zu diesem Namen und Steine Projekt von Tom Fecht. Da kenne ich fast die Hälfte der Namen. Vor kurzem habe ich einen Film über die Überlebenden der Aidskrise in San Francisco gesehen. Da sagt jemand im Vorspann, dass er sich fühlt wie die Überlebenden der Kriegsgeneration. Das Gefühl habe ich auch, ein Überlebender zu sein.

Kann man sagen, dass der Kölner CSD im Grunde genommen eine Reaktion auf die Aidskrise ist?
Wir hatten in Köln eine Act Up-Gruppe gegründet, die bei uns aus positiven Männern und schwulen Aktivisten bestand. Dort ist in der Diskussion die Idee entwickelt worden, dass man dem tagtäglichen Sterben etwas entgegensetzen müsste. Damals machten zum Beispiel sehr viele Kneipen dicht. Es gab eine massive Angst in der Szene, selbst krank zu werden, Man konnte ja damals sehen, wer an Aids erkrankt war und es ist ja leider nicht so, dass in der Szene von Anfang an eine große Solidarität vorhanden gewesen wäre.

Gruppe2Ohne an dieser Stelle die gesamte Entwicklung zum Cologne Pride aufrollen zu wollen, welcher CSD war für Dich der Wichtigste?
1993 auf dem Alter Markt! Damals war ich im Vorstand des Kölner Lesben- und Schwulentags und wir hatten uns nach langer Diskussion entschlossen, das Ghetto der Stefanstraße zu verlassen und den Schritt in die breite Öffentlichkeit zu wagen, auf einen der wichtigsten Plätze in Köln. Ich bekomme heute noch eine Gänsehaut, wenn ich an die Begeisterung der Leute bei den politischen Reden denke. Heute erträgt man das auf dem CSD eher, der Funke springt nicht mehr über. Wir hatten damals den Oberbürgermeister eingeladen, der aber dummerweise eine Ratsfrau geschickt hatte, die dann gnadenlos niedergebuht wurde. Damals haben wir den politisch Verantwortlichen gezeigt, dass wir eine starke Kraft sind. Das war für mich ein Motor für die künftige Arbeit.

Gab es für Dich auch eine Zeit, in der eine Karriere in der „konventionellen“ Politik in Frage gekommen wäre?
Durchaus. Ich war ja in Paderborn für die Grünen im Kreistag. Doch dann kam die Aids-Krise und hat mir im Prinzip einen anderen Weg vorgegeben. Da ging es um Prioritäten!

Das Gespräch führte Johannes J. Arens

 

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