Neues Gewalthilfegesetz schließt TIN*-Personen aus

Am vergangenen Freitag, 31.01.2025, wurde das Gewalthilfegesetz im Bundestag verabschiedet. Das Gesetz ergreift dringend erforderliche Maßnahmen zur Prävention und zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt. Es führt einen Rechtsanspruch auf Beratung und Schutz vor Gewalt ein und stärkt mit einem Etat von 2,6 Milliarden Euro bis 2036 bundesweit Frauenhäuser und Beratungsstellen. Nachdem frühere Gesetzesentwürfe auch explizit trans*, inter* und nicht-binäre Personen (kurz: TIN*) eingeschlossen haben, benennt das nun verabschiedete Gesetz auf Drängen der CDU-Fraktion im Bundestag hin lediglich Frauen und Kinder explizit als schutzbedürftig.

Selbstverständlich begrüßen wir die längt überfällige Maßnahme zur Prävention und Eindämmung von häuslicher Gewalt sowie die zusätzliche Hilfeleistung für die Opfer. Angesichts einer unverändert hohen Zahl an Femiziden und antifeministischer Straftaten ist ein solcher Schritt richtig und längst überfällig. Dass trans*, inter* und nicht-binäre Personen jedoch als schutzbedürftige Zielgruppen aus dem Gesetz gestrichen wurden, ist praxisfern und fachlich nicht zu begründen. Als Queeres Netzwerk NRW und rubicon e.V. kritisieren wir diesen Ausschluss scharf – er kommuniziert gegenüber trans*, inter* und nicht-binären Personen, dass ihr Gewaltschutz weniger wichtig und dringlich ist. 

Anti-Gewalt-Strukturen stehen schon lange vor dem Problem, TIN*-Personen keine geeigneten Anlaufstellen und Hilfe bieten zu können. Dabei ist der gesellschaftliche Rechtsruck unübersehbar und er führt u.a. zu einem Anstieg an trans*feindlichen Narrativen und Anfeindungen. TIN*-Personen sind in der teils polarisierten gesellschaftlichen Stimmung besonders akut gefährdet und werden vermehrt Opfer von Hasskriminalität und Gewalt. Gerade jetzt ist diese vulnerable Gruppe daher besonders auf Schutzmaßnahmen des demokratischen Staates angewiesen. Wir blicken mit großer Sorge darauf, dass die CDU beim Gewalthilfegesetz Formulierungen durchgesetzt hat, die trans*, inter* und nicht-binäre Menschen ausdrücklich ausschließen. Ein solches Vorgehen ist angesichts der massiv angestiegenen Hasskriminalität gegen LSBTIAQ* unverständlich, unsolidarisch und verantwortungslos. 

Lilith Raza (Vorstand Queeres Netzwerk NRW) befindet, dass das neue Gewalthilfegesetz ein Skandal sei: „Der gezielte Ausschluss von TIN*-Personen ist keine politische Nachlässigkeit, sondern eine bewusste Entscheidung für Diskriminierung und gegen den Schutz von Menschenleben. Es ist ein Angriff auf die Würde und Sicherheit von Betroffenen, die sich als eine der verletzlichsten Gruppen unserer Gesellschaft ohnehin schon in einer prekären Situation befinden. Ein Gesetz, das Gewaltopfer hierarchisiert, ist nicht nur moralisch zu verurteilen, sondern auch gefährlich.“

Menschenrechte dürfen nicht zugunsten populistischer Rhetorik und Wahlkampftaktiererei ausgehebelt und die Sicherheit von schutzbedürftigen Minderheiten in unserer Gesellschaft übergangen werden. Als Queeres Netzwerk NRW und rubicon e.V. appellieren wir an das Verantwortungsbewusstsein aller demokratischen Parteien und fordern die schnellstmögliche Nachbesserung des Gewalthilfegesetzes und die explizite Inklusion von trans*, inter* und nicht-binären Personen.

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Quellen

Fachberatung und Netzwerke erhalten: Queere Senior*innenarbeit dauerhaft fortsetzen!

Die NRW-Landesverbände der LSBTIQ* Communities protestieren gegen die geplante Streichung von Fördermitteln und fordern gerade jetzt den Erhalt der Senior*innenarbeit für queere Menschen in NRW.

In Nordrhein-Westfalen leben mindestens 240.000 queere Menschen ab 65 Jahren. Sie brauchen im Alter spezifische Angebote, damit sie nicht erneut in Unsichtbarkeit und Einsamkeit zurückfallen! Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels kommt diesen Themen längst eine hohe gesellschaftliche Relevanz zu.

2011 hat das Land NRW die Notwendigkeit erkannt und die Landesfachberatung gleichgeschlechtliche und trans_idente Lebensweisen in der offenen Senior*innenarbeit in NRW (rubicon e.V.) eingerichtet. Seitdem wurden landesweite Vernetzungs- und Communitystrukturen aufgebaut, Sensibilisierungen in Altenhilfeeinrichtungen durchgeführt und der Fachdiskurs um queere Perspektiven erweitert. Deutschlandweit gilt das Projekt als Pionierarbeit und Vorbild. Diese gleichermaßen notwendige wie erfolgreiche Arbeit soll laut Plänen des fördernden Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) nicht fortgesetzt werden. Stattdessen sollen die Regelstrukturen die Aufgaben übernehmen.

Als landesweite queere Selbstorganisationen wissen wir, dass Öffnungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen in Regelstrukturen andauernde Prozesse sind, die erst durch Kontinuität und eine verlässliche Begleitung nachhaltige Wirkung entfalten. Den weiterhin bestehenden Beratungs- und Begleitungsbedarf melden auch die zuständigen Kommunen und Regelstrukturen zurück. Die notwendige Fortsetzung der Fachstelle Senior*innenarbeit ist daher unbedingt vonnöten, um zielgruppenspezifisches Fachwissen in den Regelstrukturen flächendeckend oder systematisch zu vermitteln. Zur Zeit ist dies nicht einmal im Ansatz vorhanden. Es braucht daher ein entschlossenes und koordiniertes Handeln, um ein Altern in Würde für alle Menschen zu ermöglichen. Die Zusammenarbeit mit queeren Communities ist dabei zentraler Erfolgsfaktor.

Die geplante Abwicklung der landesweiten Senior*innenarbeit für gleichgeschlechtliche und trans_idente Lebensweisen konterkariert diese Bedarfe und steht den Zielen des Aktionsplans der Landesregierung insgesamt entgegen. Konkret trifft die Streichung eine Generation, die noch direkt von den diskriminierenden Auswirkungen des §175 oder dem Sorgerechtsentzug betroffen war. Die Streichung führt nicht zum Abbau von Diskriminierung, sondern verstärkt Isolation und Ausgrenzung. Zudem ignoriert sie den Beratungsbedarf von Kommunen und Regelstrukturen.  

Die LSBTIAQ*-Landesverbände halten die Pläne zur Abwicklung der Fachberatungsstelle Senior*innenarbeit für gleichgeschlechtliche und trans_idente Lebensweisen daher für kontraproduktiv und politisch verantwortungslos. Sie darf auch in Zeiten knapper Kassen nicht völlig wegfallen. Es muss ein Weg gefunden werden, diese Struktur in irgendeiner Form zu erhalten. Wir fordern also ausdrücklich die Fortsetzung der landesweiten Fachberatung.

Offener Brief der LSBTIAQ*-Landesverbände:
Aidshilfe NRW
ARCUS-Stiftung
Netzwerk Geschlechtliche Vielfalt Trans* NRW
LSVD NRW
Queeres Netzwerk NRW

Download: Offener Brief Senior*innenarbeit

Finanzierung geschlechtsangleichender Maßnahmen nach der BSG-Entscheidung

Teilt ihr eure Erfahrungen mit uns?

Seit der Entscheidung des Bundesozialgerichts (BSG) vom 19.10.2023 besteht eine große Unsicherheit hinsichtlich der Finanzierung geschlechtsangleichender Maßnahmen durch die gesetzlichen Krankenversicherungen (Infos zum Hintergrund findet ihr weiter unten).

Der GKV-Spitzenverband hat den gesetzlichen Krankenversicherungen empfohlen, bis zum Abschluss des G-BA-Verfahrens alle neu beantragten Maßnahmen entsprechend der bisherigen Praxis zu finanzieren. Krankenkassen sind aber nicht an diese Empfehlung gebunden. Deswegen fragen wir uns, wie sich die Praxis in NRW tatsächlich gestaltet. Kenntnisse darüber wären für die Vertretung von Trans*-Community-Interessen gegenüber Entscheidungsträger*innen sehr hilfreich.

Deshalb bitten wir euch darum, eure Erfahrungen mit uns zu teilen.

Habt ihr selbst nach dem 19.10. eine Rückmeldung auf einen Antrag auf Kostenübernahme erhalten oder wisst ihr von entsprechenden Fällen, z.B. aus eurer Selbsthilfegruppe? Dann freuen wir uns sehr, wenn ihr eure Erfahrungen im Hinblick auf die folgenden fünf Fragen mit uns teilt:

Schickt eure Antworten bitte per Mail an die Landeskoordination Trans* NRW unter info@lako-trans.nrw. Wir behandeln die Informationen selbstverständlich vertraulich und verarbeiten sie anonymisiert weiter.

Herzlichen Dank für eure Unterstützung!

Das Netzwerk Geschlechtliche Vielfalt Trans* NRW und das Queere Netzwerk NRW

Zum Hintergrund:

Das Bundessozialgericht (BSG) hat am 19.10.2023 die Klage einer nicht-binären Person auf Kostenübernahme einer Mastektomie (Entfernung der Brustdrüse) abgelehnt. Begründet hat das Gericht dies damit, dass transitionsspezifische Maßnahmen nach der aktuellen S3-Leitlinie „eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode darstellen“ (da nicht mehr nur von binär gedachten Transitionsmaßnahmen ausgegangen wird und Selbstbestimmung eine deutlich größere Rolle spielt) und dass für die Kostenübernahme daher erst die Anerkennung dieser Methode durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) notwendig ist. Diese Entscheidung wirkt sich sowohl auf nicht-binäre als auch auf binäre trans* Menschen aus, die einen Antrag auf Kostenübernahme für transitionsspezifische Maßnahmen stellen, da es laut diesem Urteil keine Grundlage für den Anspruch auf Kostenübernahme für diese Maßnahmen mehr gibt.

Die Kostenübernahme für bereits begonnene Behandlungen soll, so das BSG, „aus Gründen des Vertrauensschutzes“ fortgeführt werden. Der GKV-Spitzenverband hat den gesetzlichen Krankenversicherungen empfohlen, bis zum Abschluss des G-BA-Verfahrens alle Behandlungen weiterhin wie bisher gehandhabt zu finanzieren. Daran sind die Krankenversicherungen leider nicht gebunden.

Wir versuchen selbstverständlich mit darauf hinzuwirken, dass die Kosten für transitionsspezifische Maßnahmen sowohl für binäre trans* Menschen weiterhin als auch für nicht-binäre (trans*) Menschen zukünftig übernommen werden. Wichtig für diese Arbeit ist die Veröffentlichung der Urteilsbegründung, die noch aussteht.

Foto Bundessozialgericht: ©Bundessozialgericht | Dirk Felmeden