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Alles nur eine Frage der Identität?

Ein Kommentar von Markus Johannes 

Wie einfach war ich als Junge während meiner Kindheit in den späten 70ern noch mit Sprache und Zugehörigkeiten kategorisierbar. Jungs trugen blau, spielten mit Autos, rauften mit anderen Jungs und wollten mal Feuerwehrmann oder wie der Papa werden. Mädchen dagegen liebten rosa, halfen Mama beim Abwasch und waren (zumindest in den Augen von uns Jungs) irgendwie doof. Auch die Medien zeigten klare Rollen- und Berufsbilder mit allenfalls kleinen Brüchen, die eher unterhaltsam als gesellschaftkritisch daher kamen. Ja, das war die heile Deutsche Mark-Welt!

Heute ist das alles nicht mehr so einfach. Zum Glück! Die Frauen- und Lesben-, Schwulen- und Queerbewegungen haben dieser Gesellschaft zu Recht den Spiegel vorgehalten. Sie haben etwas historisch Einzigartiges angestoßen, und zwar die Verwirklichung des Anspruchs, dass sie als Individuen wahr- und ernst genommen werden. Dafür haben sich viele demütigen, beleidigen und an den Rand drängen lassen, aber immer mit dem absoluten Wissen, dass dieser Kampf richtig und gerecht ist.

Der Respekt gegenüber unterschiedlichen Identitäten und Lebensentwürfen ist noch lange nicht erreicht. Und doch erlebe ich, sozusagen beim Projekt „Emanzipation 2.0“, zunehmend ein Gleichmachen von Identitäten, bei dem ich mich als Mitglied einer inzwischen selbstbewussteren Minderheit doch etwas unwohl fühle. Es werden teils hart erkämpfte Identitäten, Communities und Kulturen zusammengewürfelt und in einem Atemzug zu einer Zwangsgemeinschaft verknüpft: „LSBTTI“. Jahrzehnte habe auch ich mit mir und meinem Umfeld um meine Identität als schwuler Mann gerungen. Plötzlich finde ich mich in diesem Label „LSBTTI“ wieder und werde erneut in die Situation gedrängt, mich behaupten und rechtfertigen zu müssen - mit meinen Wünschen, Bedürfnissen und Forderungen, mit meinem Anderssein. Dabei zwingt mich die Mehrheitsgesellschaft, mich nicht ihr gegenüber zu positionieren, sondern Menschen, die, wie einst ich selbst, versuchen, mit ihren Identitäten ihren Platz zu finden.

Beruflich und persönlich empfinde ich das als Zumutung. In der Genderforschung wird zwar schon lange die Auflösung jeglicher ab- und ausgrenzenden Identität und Schublade diskutiert- ein wissenschaftliches Ideal, das zweifelsohne erstrebenswert ist. Und einzelne können bereits gut aus unseren „klassischen“ Identitäten herauswachsen und sich selbstbewusst als „queer“ begreifen. Die Wirklichkeit vieler Identitätssuchender sieht aber anders aus. Das erlebe ich in meinem privaten Umfeld genauso wie in meinem Arbeitsalltag.

„LSBTTI“ ist keine eigene oder gar neue Identität, genauso wenig wie „Menschen mit Migrationshintergrund“ eine Identität darstellt. Es sind lediglich Begriffe, die für ein Sammelbecken von „die Anderen“ stehen. Damit wird Identitätszugehörigkeit fremdbestimmt. Das geht so nicht! Mir scheint, „LSBTTI“ ist das hilflose Konstrukt einer emanzipatorisch hypersensibilisierten Politik- und Wissenschaftselite, mit dem sie alle „sexuell anderen“ in einer neuen, politisch vielleicht korrekten, aber das jeweilige Individuum verneinenden Überkategorie zusammenfassen können.  

Wer aber etwas ernst nimmt, muss es auch benennen können. Lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, transidente und intersexuelle Menschen, um die geht es hier. Ich werde mich nicht auf ein „S“ reduzieren lassen, in einem Markt der scheinbar beliebig wählbaren Identitätsmöglichkeiten. Und ich verspüre auch als schwulenpolitischer Mann nicht automatisch die Verantwortung, mich für die Interessen von Trans- und Intersexuellen zu engagieren. Nicht aus Egoismus, sondern aus dem Wissen, dass so einen Kampf nicht stellvertretend geführt werden kann.

Es ist gut und richtig, dass wir unsere Räume auch für andere Menschen öffnen, die ähnlich wie wir unter einer rückständigen und ungerechten Gesellschaft leiden. Und vor allem, wenn diese dabei versagt hat, es selbst zu tun. Es braucht aber eine authentische Perspektive vom Leben transsexueller, transidenter und intersexueller Menschen. Eine geschlechtliche Identitätsfindung ist etwas völlig anderes als eine sexuelle. Dies gleichzusetzen zeugt von Unwissenheit und Ignoranz. Es braucht eine gleichermaßen übergeordnete wie individuelle Betrachtung der jeweiligen Lebensentwürfe. Politisch, rechtlich und gesellschaftlich. Es braucht eigene Strukturen, eigene Beratungsangebote, ein eigenes Selbstbewusstsein und eine eigene politische Lobby. Wir Schwule sind gemeinsam mit den Lesben ohne Zweifel für Transsexuelle, Transidente und Intersexuelle die besten und nahestehensten Bündnispartner. Wir sind vergleichbare Wege gegangen und gehen sie noch immer. Aber das muss unsere Entscheidung bleiben!

Hier erlebe ich uns als schwule Community und als Schwules Netzwerk etwas ratlos. Wir müssen uns positionieren, wollen uns aber nicht abgrenzen. Wir sollten unterstützen, wollen uns aber nicht mit falschem moralischen Druck vereinnahmen lassen. Wir müssen wieder mit unserem starken Profil als Schwule sichtbar werden, um auch ein starker Partner zu sein für alle, die diese Partnerschaft wünschen und brauchen. Dann kann uns keiner gegeneinander ausspielen oder gar auf einzelne Buchstaben reduzieren. Nur so können wir auch in Zukunft sein, was wir heute sind:

Eine starke Community!


Der Kommentar erschien im Juli 2012 im CSD-Magazin des Schwulen Netzwerks NRW und der Aidshilfe NRW anlässlich des CSD-Empfangs. 

 

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