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Das Kreuz mit der Homosexualität

Heute verleiht das Schwule Netzwerk NRW die Kompassnadel an Dr. Volker Jung, Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Ein Kommentar dazu von Volker Beck MdB.

LONDON, UK - JUNE 29: Participant at the gay pride posing for pi

Unter Theologen ist umstritten, ob die Bibel überhaupt etwas über Lesben, Schwule und Transgender aussagt. Aber unbestreitbar ist die über viele Jahrhunderte getragene Verfolgung der Homosexuellen durch die Kirchen. Doch in den Kirchen sind die Dinge in Bewegung. Papst Franziskus hat mit wenigen Worten eine neue Tonlage in die Auseinandersetzung der römisch-katholischen Kirche mit dem Thema Homosexualität gebracht. Er hat die Liebe Gottes zu den Menschen und die Seelsorge statt die amtskirchliche Sexuallehre in den Vordergrund gestellt.

Sein Vorgänger Benedikt XVI. hatte noch Hekatomben von Schriften gegen Schwule und Lesben, ihre Kultur und ihre Rechte aufgetürmt. 

Mit seinem Begriff der „Ökologie des Menschen“ versuchte er schein-modern klingend, die „Widernatürlichkeit“ der Homosexualität in der Lehre Roms zu festzuschreiben und die Sexuallehre der Kirche, die im Wesentlichen auf Thomas von Aquin, einem dominikanischen Theologen des 13. Jahrhunderts fußt, zu zementieren. Ob Papst Franziskus den Mut und den Willen hat, die Jahrhunderte alte Sexuallehre in Frage und auf eine neue ethische und theologische Grundlage zu stellen, wissen selbst ausgewiesene Vatikankenner nicht zu sagen. Zumindest erfahren afrikanische Bischofskonferenzen, die die Verschärfungen der Strafgesetze gegen Homosexualität als Gottesgeschenk lobpreisen, bislang keine nennenswerte Zurechtweisungen, so ganz anders als die Bischöfe, die sich in der Vergangenheit für Diskriminierungsschutz auch gegenüber Lesben, Schwulen und Transgendern eingesetzt haben. 

Die evangelische Kirche hat in den letzten Jahrzehnten bei ihrem Verhältnis zur Homosexualität eine kopernikanische Wende vollzogen. Die historische Haltung der evangelischen Kirche war der, der katholischen Kirche zunächst nicht unähnlich. 1996 hatte sich die EKD in einer Orientierungshilfe „Mit Spannungen leben“ noch unentschieden und wahrhaft verspannt dem Thema genähert. Man meinte noch einen „biblischen Widerspruch gegen homosexuelle Praxis als solche“ zu erkennen und versuchte sich gesellschaftspolitisch pragmatisch mit einem Ja zu Akzeptanz und Nein zur Gleichberechtigung offen für neue wissenschaftliche Erkenntnisse und gesellschaftliche Entwicklungen zu zeigen. Eine klare Haltung ist anders.

Diese Schrift beendete nicht die Debatte.

Vielmehr wurde in den Gliedkirchen seither um theologische Antworten, gesellschaftspolitische Orientierung und die Stellung der Lebenspartner im Pfarrdienst gerungen. Eine völlig neue Perspektive eröffnet das neue Familienpapier der EKD. Es gründet die Antworten der Kirche aus der Mitte der Schrift. „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei.“ Ausgehend von diesem Wort der Genesis ordnet die EKD auch homosexuelle Lebensgemeinschaften positiv in die sich wandelnden und pluralisierenden Familienformen ein. Sie formuliert als Richtschnur: „Leitlinie einer evangelisch ausgerichteten Förderung von Familien, Ehen und Lebenspartnerschaften muss die konsequente Stärkung von fürsorglichen familiären Beziehungen ein.“ Damit ist sie der herrschenden Politik weit voraus. Sie denkt Familie von den Menschen und nicht von der Tradition her.

Das Papier ist keine Schrift zur Homosexualität. Es enthält vielmehr viele Impulse zur Förderung und Stärkung der Familie in Gesellschaft und Kirche. Es ordnet homosexuelle Lebenspartnerschaften lediglich in das Panorama der Familie ganz selbstverständlich mit ein. Dafür hat die Synode der EKD für dieses Papier viel Kritik von evangelikaler Seite einstecken müssen: Nicht für die familienpolitischen Aussagen, sondern allein wegen der akzeptierenden Worte gegenüber unseren Lebensformen. Dass sie sich hier der Diskussion gestellt hat und nicht zurückgewichen ist, hat Anerkennung verdient.

Ich freue mich, dass wir an diesem CSD einen der herausragenden Autoren des Familienpapiers der EKD und Kirchenpräsidenten von Hessen und Nassau, Volker Jung, ehren und danken. Ich hoffe, dass dies ein Zeichen der Ermutigung und Unterstützung für diejenigen ist, die in den Kirchen für Respekt gegenüber Lesben, Schwulen und Transsexuellen streiten. Und ich wünsche mir, dass dies auch in unserer Community zu einem differenzierteren Bild von Kirchen und Gläubigen beiträgt.


Volker_Beck_17_Foto_Angelika_Kohlmeier_2012-10-16Der Kölner Volker Beck ist Mitglied des Deutschen Bundestages sowie Innen- und religionspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen. Er ist seit vielen Jahren prominenter Kämpfer im Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) und erhielt 2008 in Anerkennung seiner  herausragenden Leistungen für die Community die Kompassnadel des Schwulen Netzwerks NRW.

(Foto: Angelika Kohlmeier) 

 Der Artikel erschien ebenfalls im Programmheft zum CSD-Empfang 2014.

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