Sie waren lange angekündigt, nun gehen sie endlich los: Die zweiten Hirschfeld-Tage finden 2014 in Nordrhein-Westfalen statt. Fast 100 Veranstaltungen in 16 Städten spannen einen Bogen von historischen zu aktuellen Themen rund um schwul/lesbisches Leben. Das Schwule Netzwerk NRW hat als Projektbüro die Koordination übernommen. Unser Geschäftsführer Markus Johannes ist Mitglied im Kuratorium der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld und holte die Veranstaltungsreihe nach NRW. Er wagt nun einen ersten Rückblick und Ausblick …
Als Jörg Litwinschuh, der geschäftsführende Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, 2011 die Idee der Hirschfeld-Tage in einer Kuratoriumssitzung vorstellte, wurde ich sofort hellhörig. Eine Veranstaltungsreihe mit lokalen Partner_innen, die alle zwei Jahre an einem anderen Ort ausgerichtet werden soll? So etwas ist nach meinem Geschmack. Und nach Berlin-Brandenburg 2012 lag es nahe, in den Westen zu gehen. In ein Bundesland, das gute Strukturen aufweist, um so ein Projekt auch stemmen zu können. Denn Hirschfeld-Tage zu organisieren, bedeutet, viele Menschen zu vernetzen, Sichtbarkeit zu erzeugen, Themen zu platzieren und damit auf Gesellschaft und Politik einzuwirken - Aufgaben, für die das Schwule Netzwerk und auch ich da sind.
Deshalb griff ich noch während der 1. Hirschfeld-Tage zu und meldete ohne große Rücksprachen “unser” unbedingtes Interesse für die nächste Runde an. Jörg Litwinschuh war sofort begeistert. Aber dann ging das Klinkenputzen los. Zuerst galt es, die LAG Lesben in NRW für die Idee zu gewinnen. Es war mir schließlich sofort klar, dass dieses Projekt gemeinsam von den beiden Landesverbänden umgesetzt werden muss, um glaubwürdig und erfolgreich zu sein. Mit Gabriele Bischoff habe ich aber eine kluge und engagierte Kollegin, mit der solche Ideen wunderbar diskutierbar und umsetzbar sind. Sie war schnell begeistert und konnte ebenfalls ihre Gremien von dem Projekt überzeugen.
DER STEIN WAR INS ROLLEN GEBRACHT, ABER VIELE FRAGEN OFFEN.
Zu dieser Zeit begann die ARCUS-Stiftung, die von den Landesverbänden gegründet wurde und getragen wird, mit dem Thema “Wiedergutmachung” politisch zu arbeiten. Es geht dabei – einfach zusammengefasst – vor allem um die historische Aufarbeitung der Lebensweise von Lesben und Schwulen in der jungen Bundesrepublik. Also genau um die Themen, die auch für die Hirschfeld-Tage von Bedeutung sind. Somit lag es nahe, die ARCUS-Stiftung als unsere lokale Veranstalterin ins Rennen zu schicken. Und auch hier gab es dafür großen Zuspruch.
Nun hieß es, Hausaufgaben machen: Können wir in einem Flächenland tatsächlich genügend Partner_innen finden, die Veranstaltungen organisieren? Vor allem thematisch passende und inhaltlich gehaltvolle? Können wir tatsächlich so viele Mittel auftreiben, dass wir unserer Zusage, die Hälfte der Kosten zu decken, auch nachkommen können? Können wir tatsächlich ein Interesse seitens der Politik erzeugen, dass diese die Hirschfeld-Tage ideell und finanziell unterstützen?
Mit Emanzipationsministerin Barbara Steffens konnten wir früh eine Schirmherrin gewinnen, die sich auch aktiv des Themas annahm. Mit viel Neugierde und Interesse öffnete sie uns einige Türen, zum Beispiel in die Landeszentrale für Politische Bildung. Die Kolleg_innen dort waren von unserem Konzept schnell überzeugt und stellten bereits 2013 Mittel für die Vorbereitung der Hirschfeld-Tage zur Verfügung.
MIT BUFDI-POWER AN DIE FEINARBEIT.
Uns war klar, eine solche Veranstaltungsreihe organisiert man nicht mal eben nebenbei. Vor allem, da die ARCUS-Stiftung rein ehrenamtlich arbeitet, die Bundesstiftung in Berlin weit weg ist und wir in den Geschäftsstellen der Landesverbände auch nicht gerade über Unterforderung klagen können. Also nutzte ich die Gunst der Stunde, etwas umzusetzen, was ich schon länger im Kopf hatte – die Anerkennung des Schwulen Netzwerks als Bundesfreiwilligendienststelle. Gleich vorneweg: Das ist sehr viel Papierkram. Aber mit dem Paritätischen als Dachverband und einem unglaublich engagierten und hilfsbereiten Mitarbeiter bei der Vermittlungsstelle war der Antrag schnell durch und die Besetzung konnte beginnen.
Hier zeigte einmal mehr, wie hilfreich unsere gut funktionierenden Netzwerke sind. Über SchLAu NRW wurde ein junger Mann aus Paderborn auf die Stelle aufmerksam, der wunderbar für das Projekt und in unser Team passte. Simon Jekosch nahm im Oktober seine Arbeit auf – eine Arbeit, von der wir noch immer nicht genau wussten, wo sie überhaupt hinführen sollte.
FAST 100 VERANSTALTUNGEN? VERRÜCKT!
Ich hatte manchmal doch so meine Zweifel. War das nicht vielleicht alles eine Nummer zu groß? Na ja, 20 Veranstaltungen werden wir schon zusammen bekommen … Es sind fast 100! Hundert!! Als ich zum ersten mal das Programmheft digital durchblätterte, hatte ich Gänsehaut. Hundert. Ich glaube, ich sagte es schon.
Die Resonanz ist einfach unglaublich. Das sind die Momente, an denen meine Arbeit so richtig Spaß macht. Wir haben die Mittel gut zusammenbekommen und konnten mehr Veranstaltungen fördern, als ursprünglich gedacht. Über 50 Projektpartner_innen haben sich eingebracht, stellen Veranstaltungen auf die Beine und lassen sich geduldig von Simon koordinieren. Nur wenige Querschläge haben die Planungen getrübt. Das Team um Gabriele, Jörg, seinen Mitarbeiter Dennis Nill, Simon und mir arbeitet kollegial, freundschaftlich und reibungslos. Ute Hummler hat die Verträge und Abrechnungen in gewohnt professioneller Weise im Blick. Der ARCUS-Stiftungsrat bringt sich engagiert ein und steht bei vielen Veranstaltungen als Pat_innen zur Verfügung. Die Kolleginnen aus dem Ministerium arbeiten uns aufmerksam zu. Besser könnte es kaum laufen!
18. MAI – UND DANN?
In den nächsten Wochen zeigt sich nun, ob die Hirschfeld-Tage beim Publikum ankommen. Vor allem auch bei der Allgemeinbevölkerung. Erste Presseberichte wurden schon veröffentlicht, im Landtag gab es eine Debatte zum §175, bei der Barbara Steffens bereits fleißig die Werbetrommel rührte. Ich denke, auch das ist eine Premiere. Wir haben alle Veranstalter_innen gebeten, uns Projektberichte und Fotos zu schicken. Gerne möchten wir daraus eine Broschüre erstellen, die dieses Großereignis dokumentiert. So schnell wird es wohl keine Hirschfeld-Tage in NRW mehr geben. Aber Rheinland-Pfalz, Hannover und Leipzig haben bereits Interesse für 2016 bekundet. Die letzten Hirschfeld-Tage werden es sicher nicht sein.
Wir haben die Messlatte hoch gelegt, ohne Frage. Welche Frage wir noch nicht beantwortet haben, ist, was wir danach mit diesen ganzen Energien, Kooperationen und Themen anfangen, die die Hirschfeld-Tage hervorgebracht haben. Können wir die Recherche-, Zeitzeug_innen- und Erinnerungsarbeit verstetigen? Schaffen wir es, Teil der bundesrepublikanischen Gedenkkultur zu werden? Und das nicht nur bezogen auf die Nazi-, sondern auch auf die Nachkriegszeit? Wie können wir die Lebensgeschichten älterer Lesben und Schwulen bewahren und festhalten?
Die Hirschfeld-Tage sollten ein Anfang sein, kein Abschluss. Die eigentliche Arbeit steht uns also noch bevor – nach dem 18. Mai. Dafür brauchen wir Geld, engagierte Menschen und Visionen. Die nächsten Steine liegen schon vor uns. Bringen wir sie ins Rollen!
]]>