Ein schwerer Angriff auf trans* Mann Malte C. überschattete am vergangenen Wochenende den CSD Münster. Am heutigen Freitag ist Malte C. an seinen Verletzungen verstorben. Der Vorfall ist herausragend in seiner Gewalt und der Todesfolge – aber kein Einzelfall. Das Queere Netzwerk NRW und die Landeskoordination Anti-Gewalt-Arbeit für Lesben, Schwule und Trans* in NRW fordern konsequente Maßnahmen gegen queerfeindliche Gewalt.
Vorstandssprecher Neo Argiropoulos bezog für das Queere Netzwerk Stellung. „Ich bin fassungslos. Immer wieder müssen wir Schweige- und Schreiminuten für Opfer queerfeindlicher Gewalt einlegen. Besonders auch für queere Menschen, die im Rahmen von CSDs für ihre Rechte eintreten. Es muss ein Ende haben, dass wir Mitgliedern unserer Communities so gedenken müssen.“ Dabei gebe es eine direkte Verbindung von vermeintlich harmloseren Formen der Gewalt wie Ausgrenzung oder verbale Anfeindung zu schwerer queerfeindlicher Gewalt, so Argiropoulos. „Der Angreifer aus Münster war bereit, seine queerfeindlichen Sprüche durch körperliche Gewalt zu verteidigen. Für Malte spielte es keine Rolle, ob die tödliche Folge beabsichtigt war – am Ende hat ihn Hassgewalt getötet.“
Nicht jede Form der Queerfeindlichkeit äußere sich auf dieselbe Art, so Argiropoulos. „Aber: Queerfeindlichkeit tötet. Weil sie Menschen schutzlos macht. Weil sie Gewaltbereitschaft erhöht. Und weil sich Menschen selbst das Leben nehmen, weil sie mit Hass und Ausgrenzung nicht leben können. Wir brauchen dringend besseren Schutz für unsere Communities.“ Dazu gehöre etwa ein Ausbau der Antidiskriminierungsarbeit, vor allem im Bereich Jugendarbeit und Schule, und der Beratungsangebote für queere Menschen. Auch Schutzwohnungen seien zentral, da Gewalt auch in Familien und Wohngemeinschaften stattfinde. Medien müssten über queerfeindliche Gewalt konsequent berichten. „Das kann kein Nischenthema von Community-Presse sein. Und: wir erwarten auch auf politischer Ebene eine klare, parteiübergreifende Verurteilung von Gewalt und Diskriminierung. Dazu gehört besonders die Fortführung und der Ausbau des Landesaktionsplans gegen Queerfeindlichkeit.“
„Wer queerfeindlich handelt, will, dass wir still und isoliert bleiben,“ ergänzt Lilith Raza, Vorstandsmitglied des Queeren Netzwerks NRW. „Dass wir einander nicht verteidigen, nicht auf die Straße gehen, nicht für unsere Rechte kämpfen. Sondern dass wir uns aus Angst vor Gewalt klein machen. Dass wir rassistische, frauen-, trans-, inter- oder behindertenfeindliche Gewalt zulassen, weil sie sich „nur“ gegen einige von uns richtet.“
Sie verwies auch auf andere Übergriffe, von denen die CSD-Saison 2022 in NRW überschattet wurde. So wurden Teilnehmende des CSD Bielefeld mit Urinpistolen angegriffen, im Vorfeld des CSD Dortmund kam es zu einem gewalttätigen Angriff auf Veranstaltungsbesucher*innen, die eine Regenbogenflagge bei sich trugen. „Dagegen müssen wir gemeinsam aufstehen,“ so Raza. „Malte hat sich als trans* Mann gegen lesbenfeindliche Gewalt gewendet. Mit dieser Zivilcourage ist er ein Vorbild. Ein queerfeindlicher Angriff ist niemals nur ein Einzelfall, sondern immer ein Angriff auf unsere Communities.“
„Die Gewaltfälle schockieren mich. Insbesondere der Rahmen des CSDs bestätigt, dass Gewalt gegen queere Menschen immer dann stattfinden kann, wenn wir öffentlich zu erkennen sind,“ meint Julian Fischer, Mitarbeiter in der Landeskoordination Vielfalt statt Gewalt im rubicon e.V. „Wir dürfen uns aber nicht einschüchtern lassen, sondern müssen uns damit auseinandersetzen, wie Gewalt präventiv begegnet werden kann. Kann Personal im Rahmen von Veranstaltungen noch besser geschult werden? Gibt es öffentlichkeitswirksame Kampagnen, die LSBT*I*Q Personen über Handlungsmöglichkeiten als Betroffene oder Zeug*in aufklärt? Ist die Polizei im Umgang mit queeren Menschen ausreichend geschult?“
In einer Befragung der europäischen Grundrechteagentur von 2020 bejahen 13 % von 16.000 queeren-Personen in Deutschland, dass sie in den letzten 5 Jahren physische oder sexuelle Angriffe erlebt haben. Trans* und inter* Personen sind stärker betroffen: 19 % der befragten trans* Personen und 23 % der inter* Personen antworteten auf die Frage mit Ja.
Hassgewalt gegen queere Personen wird in der Bundes-Kriminalstatistik im Bereich der politisch Motivierten Kriminalität erfasst. Hier finden sich im Jahr 2021 340 Fälle aufgrund des Geschlechts/der sexuellen Identität (mit „sexueller Identität“ wird Transgeschlechtlichkeit bezeichnet) und 870 aufgrund der sexuellen Orientierung. Die Dunkelziffer, so Fischer, sei um ein vielfaches höher. Mit der Kampagne „ich-zeige-das-an.de“ setzt sich Vielfalt statt Gewalt dafür ein, die Anzeigebereitschaft in der queeren Community zu erhöhen. „Das Land NRW ist in der Pflicht, die Dokumentation queerfeindlicher Gewalt konsequent weiter auszubauen. Durch Förderung der Community-Einrichtungen, die sich genau diesen Themen widmen, und durch Sensibilisierung und Dokumentation auf Seiten der Landespolizei.“
Die Polizei Münster sucht weiter nach Hinweisen rund um den Angriff auf Malte C. Weitere Informationen und Kontaktdaten unter: https://muenster.polizei.nrw/presse/25-jaehriger-verstirbt-nach-gewaltattacke-am-rande-des-csd
Zum Fall Münster
https://www.queer.de/detail.php?article_id=43097
https://www.queer.de/detail.php?article_id=43055
Zu Gewalt rund um die CSDs in NRW
https://www.queer.de/detail.php?article_id=42547https://www.ruhrnachrichten.de/dortmund/dortmunder-wegen-regenbogenflagge-verpruegelt-aktivist-prangert-hassverbrechen-an-w1788085-p-2000618369/
Zu queerfeindlicher Gewalt in Deutschland
https://www.lsvd.de/de/ct/3958-Alltag-Homophobe-und-transfeindliche-Gewaltvorfaelle-in-Deutschland
https://fra.europa.eu/en/data-and-maps/2020/lgbti-survey-data-explorer