Queerfeindlichkeit tötet – selten wurde das so deutlich wie im Fall des Angriffs auf Malte C. auf dem CSD Münster im vergangenen Jahr. Das Landgericht Münster fällte in dieser Woche sein Urteil über den Angreifer Nuradi A., in dem es ihn der Körperverletzung mit Todesfolge für schuldig erklärt. Eine queerfeindliche Motivation hält das Gericht nicht für erwiesen. Das ist gefährlich – denn Queerfeindlichkeit nicht als solche zu benennen, verhindert eine konsequente Dokumentation und Bekämpfung queerfeindlicher Gewalt. Das Queere Netzwerk NRW fordert gemeinsam mit seiner Mitgliedsorganisation Trans-Inter-Münster e.V. die ehrliche Auseinandersetzung mit den Hintergründen der Tat. Außerdem muss die Beratung für queere Menschen, die von Gewalt betroffen sind, ausgebaut und abgesichert werden.
Das Gericht hat zwar anerkannt, dass die der Tat vorausgegangenen Äußerungen gegen mehrere Besucher*innen des CSD eindeutig queerfeindlich seien. Diese Queerfeindlichkeit sei aber klar zu trennen davon, dass Nuradi A. Malte C. für seine Intervention niederschlug und so letztlich seinen Tod verursachte. Felix Adrian Schäper, Leiter der Trans* Beratung im Verein Trans*-Inter*-Münster e.V. und trans* Berater im KCM Münster, hat den Prozess als Beobachter mitverfolgt. Das Urteil ist für ihn eine Verharmlosung der lesben- und transfeindlichen Diskriminierung, ohne die es nie zur Tat gekommen wäre. „Alle, die ihrer Queerfeindlichkeit gerne durch Pöbeleien Ausdruck verleihen, können sich jetzt darin bestätigt fühlen, dass das wohl nicht so schlimm sei. Und sie können davon ausgehen, dass sie ihre Queerfeindlichkeit im Zweifelsfall auch durch körperliche Gewalt verteidigen können, ohne dass ihnen das als queerfeindliche Gewalt ausgelegt wird.“
Menschenverachtende Beweggründe können nach §46 des Strafgesetzbuches eine Auswirkung auf die Zumessung der Strafe haben. Queerfeindlichkeit wird dabei bislang im Gesetzestext nicht explizit als menschenverachtende Gesinnung benannt. Das soll sich nun endlich ändern: Am 15. März wurde eine Reform des Sanktionsrechts in den Bundestag eingebracht, nach der in Zukunft auch geschlechtsspezifische und gegen die sexuelle Orientierung gerichtete Tatmotive als relevant für die Strafzumessung benannt werden sollen. Der Beschluss ist überfällig und muss schnellstmöglich umgesetzt werden. Er ist ein notwendiger Beitrag dazu, dass Opfer queerfeindlicher Gewalt ihre Erfahrungen zur Anzeige bringen und Unterstützung erfahren können.
Denn die Dokumentation queerfeindlicher Gewalt und vor allem das Netzwerk der Anlaufstellen für Betroffene weist bisher noch große Lücken auf. Vor allem im ländlichen Raum fehle es oft an Anlaufstellen, so Lilith Raza, Vorständin des Queeren Netzwerks NRW und Mitarbeiterin im Projekt „Fluchtgrund: queer – Queer Refugees Deutschland.“ Aber auch Beratungsangebote für mehrfachdiskriminierte Menschen, etwa queere Menschen nach Flucht oder LSBTIQ* mit Behinderung, seien noch viel zu wenig ausgebaut. Generell seien auch die bereits existierenden Angebote oft katastrophal unterfinanziert und arbeiteten an der Belastungsgrenze.
Um queerfeindliche Gewalt konsequent zu bekämpfen sei es nötig, nicht nach vereinfachenden und verharmlosenden Erklärungen für sie zu suchen, so Raza. Sie äußerte sich in diesem Zusammenhang zu der im Prozess gegen Nuradi A. gefallenen Aussage, er habe seine Angst vor der eigenen Homosexualität geschildert und damit eine homo- oder transfeindliche Einstellung „glaubwürdig negiert.“ „Die Argumentation, wer selbst schwul ist, kann nicht queerfeindlich sein, ist Unsinn. Queerfeindlichkeit wirkt überall, wo Menschen Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt sind, weil sie queer sind. Wir brauchen dringend niedrigschwellige Beratung für Menschen, für die die Auseinandersetzung mit der eigenen Queerness so große Konflikte auslöst, dass sie gewaltvoll handeln – sei es gegen andere oder gegen sich selbst. Wenn jemand Angst davor hat, als queer gesehen bzw. geoutet zu werden, und darum Gewalt gegen andere queere Menschen anwendet – dann ist das Queerfeindlichkeit.“
Anlaufstellen für queere Menschen mit Beratungsbedarf bieten die psychosozialen Beratungsstellen andersROOM Siegen, KCM Münster, LEBEDO Dortmund, Lebenslust Krefeld, Rosa Strippe Bochum und rubicon Köln. Angebote speziell für trans* Menschen, insbesondere auch die ehrenamtliche trans* Peerberatung, werden NRW-weit auf dem Portal www.trans-angebote.nrw gesammelt. Im Fall von Gewalterfahrungen ist insbesondere die Landeskoordination Anti-Gewaltarbeit für Lesben, Schwule und Trans* ansprechbar, die auf Wunsch auch bei Fragen rund um das Thema Strafanzeige berät: www.vielfalt-statt-gewalt.de/
Mehr zum Urteil im Fall Malte C.:
https://www.queer.de/detail.php?article_id=45037
https://www1.wdr.de/nachrichten/westfalen-lippe/plaedoyers-prozess-malte-c-100.html
Mehr zu Trans*-Inter*-Münster und dem Queeren Netzwerk NRW: