Am 13. Januar 2017 fand erstmals ein gemeinsamer Neujahrsempfang der LAG Lesben in NRW und des Schwulen Netzwerks NRW statt, der an der Tradition der Empfänge des Netzwerks in Köln anschloss. Über 140 Gäste aus Politik, Verwaltung, Mitgliedsgruppen und befreundeten Organisationen waren gekommen, um sich über die Arbeit von Lesben, Schwulen und Trans* in NRW auszutauschen. Vor dem geselligen Beisammensein gingen die Vorstandsmitglieder Daya Holzhauer und Steffen Schwab in einer Rede auf die bevorstehenden Ereignisse des Jahres ein. Vorab begrüßten sie die Anwesenden. Hier ihre Rede: Dieser Neujahrsempfang ist neu. Wir sind jetzt zu zweit, als Gastgeber_innen. Wir sind in Düsseldorf, weil wir da eigentlich auch - die Freund_innen aus Köln mögen uns das verzeihen - hingehören: als Landesverbände in die Landeshauptstadt, die sich im übrigen, dank des gerade in den letzten Jahren Erreichten, sehr gut sehen lassen kann, was die Infrastruktur für die lesbisch-schwule-bi-trans- und queer-Community angeht. Wir sind übrigens beide hier zu Hause: die LAG ganz und gar, das Netzwerk zwar nicht mit seiner Geschäftsstelle, aber von Anfang an mit seinem Vereinssitz. Neuer Ort, neue Gastgeber_innen, neues Jahr. Aber: keine neue Zusammenarbeit. Die ist nämlich durchaus etabliert. Unsere Geschäftsstellen meistern ihr Alltagsgeschäft längst in enger Abstimmung, unsere Vorstände tagen seit Jahren regelmäßig gemeinsam, unsere Schnittmengen sind riesig: SCHLAU und Jugend, Geflüchtete und Regenbogenfamilien sind nur wenige Beispiele für gemeinsame Themen, die jährliche GAY*COM und das Gedenken am 27. Januar sind Beispiele für gemeinsame Veranstaltungen. Und die Fortbildungs- und Serviceangebote für unsere Mitglieder. Und jetzt dieser Empfang. Unsere beiden Verbände haben sich vorgenommen, unserer Zusammenarbeit eine neue Form zu geben – in dem Jahr, das unseren Jubiläumsjahren folgt: Wir haben im vorigen Jahr beide Fachtagungen unserem 25- und 20-jährigen Bestehen dazu genutzt, zurück- und vorauszublicken.
Wir möchten Kräfte bündeln, Bewegungen zusammenführen, eine starke und laute Stimme sein.
Wir möchten gemeinsam unsere Kompetenzen nutzen, zusammen sichtbarer, präsenter, wahrnehmbarer sein, als es jeder Verband für sich allein kann. Wir möchten Aufgaben auf mehr Schultern verteilen, eine stärkere Lobby sein, nicht zuletzt aber auch unsere hauptberuflichen Kräfte so effizient wie möglich einsetzen, so erfolgversprechend wie möglich Mittel akquirieren. Wir möchten unsere verbandlichen Strukturen einer Wirklichkeit anpassen, wie sie von einem großen Teil unserer Mitgliedsorganisationen längst gelebt wird. Und wenn wir von einer neuen Struktur sprechen, dann meinen wir damit eine offene Struktur, die auch die einlädt, die sich bisher in keiner der landesweiten Interessenvertretungen wiederfinden - einer neuen Struktur, die mehr ist als nur die Summe von LAG und Netzwerk. Wir werden in den nächsten Wochen gemeinsam zu Workshops einladen, die die Themen vorbereiten, über die in einer Netzwerkstatt im April zu sprechen sein wird. Von dort wird das Signal an die beiden Verbände ausgehen, eine Fusion einzuleiten – oder noch in eine weitere Beratungsrunde einzusteigen. Denn eins ist klar: Wenn wir zusammengehen und eine neue, auch für andere bestehende und noch nicht bestehende landesweite Zusammenschlüsse der LSBTQ - Selbstorganisationen offene Struktur schaffen – dann wird das keine inhaltsleere Hülle mit Briefkopf und Gremien sein, sondern ein Projekt, das lebt. Das lebt, weil die Menschen, die dazu gehören, davon überzeugt sind. Weil sie davon begeistert sind. Weil sie darauf Lust haben. Und, das ist wohl das Allerwichtigste, weil sie sich selbst darin wiederfinden.
2017 ist ein Wahljahr. Die Gesellschaft, in der wir leben, ist gerade nicht in bester Verfassung.
Ich könnte jetzt all das über Populismus, Homo-, Trans- und Xenofeindlichkeit, Gewalttätigkeit und Aggressivität sagen, was ihr eh schon wisst und/oder am eigenen Leib erfahrt. Ich könnte auf die Studie hinweisen, die die Antidiskriminierungsstelle des Bundes in dieser Woche veröffentlicht hat. So gefestigt ist das mit der Akzeptanz noch lange nicht. Ich könnte wieder einmal dafür werben, in unserer Aufklärungs- und Bildungsarbeit nicht nachzulassen – denn nur so werden wir nachhaltige Veränderungen bewirken. Für besonders bedrohlich halte ich es aber, dass es auf großen Strecken keine Kommunikation mehr gibt. Menschen leben in ihren virtuellen, digitalen Blasen, scheinen unerreichbar, verstehen nur wenig selbst von dem, was auch ihre eigenen Lebensbedingungen bestimmt. Es ist wieder möglich geworden, mit Lügen Politik zu machen. Sie nennen das postfaktisch und finden das hip. Im 19. und 20. Jahrhundert wurde so in Europa nicht nur ein Krieg entfesselt. Um so wichtiger ist es, dass wir uns als Bürger_innen kraftvoll einmischen, in all unserer Vielfalt und Verschiedenheit in den ganz zentralen Fragen mit einer Stimme sprechen. Wir schaffen das. Weil wir schon so viel geschafft haben. Wir schaffen das aber auch nur dann, wenn wir für uns selbst klar haben, was uns unterscheidet, was uns verbindet. Das bedeutet, dass wir nicht Beliebigkeit an die Stelle der im wahrsten Sinne des Wortes überlebten Homo-Hetero-Polarität treten lassen.
Und dass es nach wie vor nicht darum geht, uns in diese Gesellschaft zu integrieren, sondern sie zu verändern.
So, wie wir es in unseren gemeinsamen Forderungen zur Landtagswahl formuliert haben: Wir treten ein für eine Gesellschaft, in der alle Menschen ihre sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten selbstbestimmt und angstfrei, mit gleichen Rechten und in Würde leben können. Diese Gesellschaft haben wir noch nicht. Ich möchte bei euch, die ihr in den nächsten Wochen in unser Zukunftsprojekt einsteigt, dafür werben, uns auch darüber zu verständigen. Wir dürfen wir eine gute Bilanz der gemeinsamen Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren ziehen. Besonders hervorheben möchte ich den großen Erfolg, dass das Schwule Netzwerk und die LAG Lesben in NRW nun zu den „relevanten gesellschaftlichen Gruppen“ gehören, die in Nordrhein-Westfalen die Landesmedien gestalten und auch kontrollieren. Seit Dezember 2014 teilen wir uns den Sitz in der Landesmedienkommission, die den privaten Rundfunk kontrolliert. Hier werden wir von Caroline Frank und Jürgen Rausch vertreten. Beide konnten bereits mit einer Kampagne zu Hatespeech im Netz und mit der Aktion „Rote Karte“ zum Internationalen Tag gegen Homophobie deutliche Signale in diesem Gremium setzen. Seit Dezember 2016 vertreten Markus Johannes und Gabriele Bischoff nicht nur schwul-lesbische Interessen in dem WDR-Rundfunkrat und knüpfen dort unter anderem eben auch Kontakte in die Mehrheitsgesellschaft hinein. Im vergangenen Herbst haben wir mit einem Kongress im Essener Ruhrturm daran erinnert, dass im September 1996 lesbische Frauen eine gemeinsame Vision hatten, nämlich einen Verband zu gründen, der das Ziel hat, lesbenpolitische Aktivitäten der Gruppen, Projekte und Vereine in NRW zu bündeln, zu koordinieren und den Erfahrungsaustausch zu moderieren. Ganz nach dem Motto: „Gemeinsam mehr erreichen!“ Die Themen Identität, Aufklärung, Solidarität, Sichtbarkeit haben uns schon 1996 bewegt und sie bewegen uns auch heute noch. Allerdings sind wir als Landesverbände heute anerkannte Gesprächspartnerinnen, haben zwei Akzeptanzkampagnen auf den Weg gebracht, begleiten sachkundige Landeskoordinations- und Fachstellen, haben die ARCUS-Stiftung gegründet, den Landesaktionsplan für Gleichstellung und Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt zusammen mit der Landesregierung erarbeitet und vieles mehr.
Wir wollen in den nächsten Monaten mit den Mitgliedsgruppen ausloten, wohin der gemeinsame Weg gehen wird.
Welche Schritte werden notwendig, um in diesen politisch schwierigen Zeiten für noch stärkere Lobbyarbeit zu sorgen? Bereits 2006 haben wir schon einmal in einer gemeinsamen Zukunftswerkstatt diese Fragen gestellt und mit der Kooperation auf vielen Ebenen begonnen. Der heutige Neujahrsempfang ist ein weiterer Schritt unserer vertrauensvollen Zusammenarbeit. Und Vertrauen ist in diesen Zeiten des wachsenden Rassismus, der wachsenden Ausgrenzung und auch der wachsenden Diskriminierung und Gewalt ebenso notwendig wie Engagement, Solidarität und Zusammenhalten! Damit die erkämpften Rechte nicht zurückgenommen werden – wir sehen in Polen, Ungarn, in der Türkei und sogar in den USA, wie an den Stellschrauben der Demokratie herumgedreht wird!