Auch 2017 luden am Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz die Landesverbände zum Gedenken an die schwulen und lesbischen Opfer des Nationalsozialismus ein. Vertreter_innen des Schwulen Netzwerks NRW, der LAG Lesben in NRW, der ARCUS-Stiftung, des LSVD NRW und des Arbeitskreises Leben Schwule Bisexuelle Transgender und Intersexuelle in ver.di Köln legen am Mahnmal für die lesbischen und schwulen Opfer des Nationalsozialismus „totgeschlagen – totgeschwiegen“ in Köln Blumen nieder. Die Zauberflöten untermalen das Gedenken musikalisch. Marlis Bredehorst, Staatssekretärin a.D. und Vorstand der ARCUS-Stiftung sowie Reinhard Klenke, Vorstand der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS e.V.) hielten die Gedenkreden. Marlis Bredehorst: Seit der Einweihung dieses Mahnmals erinnern wir gemeinsam an die lesbischen und schwulen, an die trans und queeren Opfer des Nationalsozialismus. Wir tun dies regelmäßig am 27. Januar, dem gesetzlich verankerten Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, dem Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau und der beiden anderen Konzentrationslager Auschwitz durch die Rote Armee im letzten Jahr des zweiten Weltkriegs. Die Vereinten Nationen erklärten 2005 diesen Tag zum „Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Im Gedenken an die Verfolgten und Ermordeten finde ich es absolut unverständlich, dass die NPD nicht verboten wurde. Das Mahnmal wurde errichtet, weil die deutsche Erinnerungskultur zur Nazi-Zeit zwar im Laufe der Nachkriegszeit immer mehr zum gesellschaftlichen Konsens wurde, aber dabei die schwulen und lesbischen Opfer häufig nicht mitgenannt oder verschwiegen wurden. Noch viel schlimmer, die strafrechtlichen Verschlimmerungen des § 175 Strafgesetzbuch aus der Nazizeit sind lange nicht beseitigt worden, sondern galten weiter. Und erst jetzt wird die Rehabilitierung der schwulen Nachkriegsoper angegangen. Es ist schön, dass es heute ein Wissen und Bewusstsein darüber gibt, dass die Ausgrenzung und der Vernichtungs- und Auslöschungswille der Nationalsozialisten nicht nur gegenüber den Jüdinnen und Juden, den Roma- und Sinti, den Kommunistinnen und Kommunisten, den Gewerkschafterinnen und den Gewerkschaftern, den Menschen mit Behinderungen galt, sondern auch gegenüber den Lesben und Schwulen, den Trans- und queeren Leuten, die ihre Liebe, ihr Leben, ihre Geschlechtsidentität nicht der heterosexuellen Norm unterwarfen und dies auch zeigten. Und es ist schön, dass dieses Wissen über die Gräueltaten der Nationalsozialisten an den Lesben und Schwulen nicht nur in der eigenen Community vorhanden ist, sondern immer breitere Gesellschaftsschichten erreicht. Wenn auch die Community viel dazu beigetragen hat, das dies so ist.
Gleichzeitig ist es kaum zu fassen, dass die Rechtspopulisten in Europa und den USA so viel Zuspruch bekommen.
Nun ist dies immerhin in unseren Medien Thema. Und soweit dies im Ausland passiert, wird auch ausführlich darüber berichtet. Nur gehen die Meldungen über die Ausgrenzung von Lesben und Schwulen, über den Abbau von Frauenrechten leicht unter. Dass eine der ersten Unterschriften von Trump als neuem Präsidenten der USA die Streichung von Hilfsmitteln für Organisationen, die Frauen zu Verhütung und Abtreibungen beraten oder Abtreibungen anbieten, besiegelte, ist neben den vielen anderen Berichten zu Trump leicht untergegangen. Und sein Vizepräsident Mike Pence wird auf einmal als vernünftig dargestellt, weil er weiß, wie Washington funktioniert, weil er bei den Republikanern respektiert wird. Aber ist es publik, dass er ein entschiedener Gegner der Homoehe und ein Abtreibungsgegner ist, dass er die Förderung von Frauenkliniken ablehnt, dass er für vermeintliche Therapiemodelle gegen Homosexualität warb und als Gouverneur für ein Religionsgesetz verantwortlich ist, das Ladenbesitzern das Recht zuspricht, Schwule und Lesben nicht mehr zu bedienen?
Aber wir brauchen gar nicht so weit zu blicken.
Auch in unserem Lande macht sich der Rechtspopulismus breit. Die AFD hat sich bislang auf Muslime und Geflüchtete konzentriert. Schlimm genug. Solidarisieren wir uns mit allen Muslimen, mit allen Geflüchteten, mit allen rassistisch Ausgegrenzten. Wir wissen, dass die Ausgrenzung von Lesben und Schwulen, von Trans und Queeren auch ganz schnell kommen kann. Der Anti-Genderismus, der Anti-Feminismus, das Schimpfen auf „Gender“ sind die Vorboten und zeigen, dass es wieder einmal darum geht, dass die angebliche natürliche Ordnung vom Zusammenleben von Mann und Frau, jeder und jede in der ihm oder ihr zugewiesenen Rolle, er oben, sie unten,die einzige erlaubte Lebensform sein darf. Wehe, gleichgeschlechtliche Liebe, Transidente oder rollenverweigernde Frauen oder Männer durchbrechen dies. Durchbrechen das Privileg der männlichen Vorherrschaft. Leider wird dies bei der Diskussion über den Umgang mit der AFD wenig oder gar nicht thematisiert. Und leider wird mir die AFD viel zu viel hofiert. Aus meiner Sicht ist nur eine Reaktion angemessen.: ein klares Bekenntnis zur Vielfalt der Gesellschaft. Ein klares Bekenntnis zu allen Muslimen in Deutschland, ein klares Bekenntnis zur Aufnahme von Geflüchteten in Deutschland, ein klares Bekenntnis zur gleichgeschlechtlichen Liebe, ein klares Bekenntnis für alle Formen von Trans- und Intersexualität.
Hier muss der Staat aber noch nacharbeiten.
Zum klaren Bekenntnis gehört auch die uneingeschränkte Öffnung der Ehe und des Adoptionsrechts für gleichgeschlechtliche Paare, hierzu gehören die gesetzliche Akzeptanz aller Formen der Trans- und Intersexualität. Man kann nicht gegen Diskriminierung von LSBTI sein, aber die gesetzliche Diskriminierung nicht aufheben. Oder gar von einem unguten Gefühl reden, wie es unsere Kanzlerin tat. Ich wünsche mir, dass Schwule und Lesben, viele Trans und Queere sich solidarisieren mit Muslimen oder anderen Ausgegrenzten. Ich wünsche mir aber auch, dass Lesben und Schwule nicht allein für ihre Rechte kämpfen, sondern dass die Zahl der Straigt Allies immer größer wird. Nur so wird klar, dass es sich um allgemeine Menschenrechte handelt, ob bei Geflüchteten, bei Menschen muslimischen Glaubens oder bei Lesben, Schwulen und anderen Queeren. Setzen wir allen Fundamentalisten ein Bild von einer Gesellschaft der Vielfalt entgegen, in der es normal ist, dass jede und jeder verschieden ist.
„Totgeschlagen – totgeschwiegen“ – nie wieder.
Reinhard Klenke: Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Mitstreiter*innen, wir müssen gemeinsam aufzeigen, wie sehr Rassismus, Vorurteile und Hass auch heute noch uns und die Gesellschaft gegeneinander aufbringen. Vor 22 Jahren haben wir hier gemeinsam das Mahnmal für die schwulen und lesbischen Opfer des Nationalsozialismus eingeweiht. Seitdem erinnern wir gemeinsam an die Opfer der heute unvorstellbaren Verbrechen und Gräueltaten der Nationalsozialisten hier und in Auschwitz. Seit jeher bewegt mich, wie wir in der Community für eine gemeinsame Erinnerungskultur zwischen den Generationen Sorge tragen können. Die Landesverbände, die LAG Lesben in NRW und das Schwule Netzwerk NRW veranstalteten im Oktober mit jungen lesbischen, schwulen, trans* und queeren Jugendlichen eine Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz. Es braucht mehr solcher Möglichkeiten des Erinnerns. Ich wünsche mir, dass andere diesem Beispiel folgen. Wir müssen gemeinsam aufzeigen, wie sehr Rassismus, Vorurteile und Hass keine Phänomene des Nationalsozialismus sind, sondern auch heute noch uns und die Gesellschaft gegeneinander aufbringen.
Der § 175 steht hierfür symbolisch.
Der Paragraph wurde unter den Nazis verschärft. Schwule erhielten den Rosa Winkel. Lesben den Schwarzen Winkel. Hier ist unser Erinnerungsort, der gemahnt, wie Lesben und Schwule auch in Konzentrationslagern ermordet wurden. Doch mit der Niederlage des NS-Staates folgte keine Befreiung. Schwule Männer wurden weiterhin verfolgt, durch Polizeiermittlungen drangsaliert, wurden verurteilt, erhielten Haft- und Geldstrafen. Durch Kündigungen und Berufsverbote blieben schwule Männer gesellschaftlich zurück, wurden sozial geächtet und ausgegrenzt. Familien wendeten sich ab. Viele verloren ihre Heimat. Nicht wenige wählten den Freitod. Wir, die Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren fordern, dass diesen Menschen ihre Würde wieder gegeben wird. Die Bundesregierung wird die Männer, die nach § 175 verurteilt wurden, dieses Jahr rehabilitieren und entschädigen. Endlich, denn viel zu lange haben sie darauf warten müssen. Endlich erkennt der Staat die Verfolgung nach 1945 an. Endlich übernimmt der Staat Verantwortung für die Verbrechen, die diesen Männern angetan wurden.
Wir müssen gemeinsam aufzeigen, wie sehr Rassismus, Hass und Vorurteile die Gesellschaft gegeneinander aufbringen.
Zum Beispiel, wenn wie früher der Staat gegenüber Schwulen mit dem § 175 zig tausendfaches Unrecht begangen hat und wenn heute der Staat asylsuchende Lesben, Schwule und Trans* aus anderen Ländern abweist oder abschiebt, in denen es den § 175 mit anderen Namen gibt. Zum Beispiel, wenn wie früher bei der Polizei Schwule durch den § 175 in Rosa Listen geführt wurden und wenn heute bei der Polizei wieder Schwule durch HIV mit dem Kürzel „ANST“ gespeichert werden. Und wenn heute bei den Justizbehörden in NRW immer noch die Akten vernichtet werden, die Zeugnis sind, wie uns unsere Würde genommen wurde. Zum Beispiel, wenn wir wie früher keine Solidarität, sondern aufgrund von Homophobie nur Kriminalisierung, Pathologisierung und medizinische Gewalt erfahren haben und wenn wir als Lesben, Schwule und Trans* heute bei eben diesen Solidaritätsverweigerern dafür herhalten dürfen, wenn gegen Muslime gehetzt wird. Wir müssen gemeinsam Widerstand leisten, wenn Rassismus, Vorurteile und Hass uns und die Gesellschaft auch heute noch gegeneinander aufbringen. Unser Widerstand gegen Homophobie, Vorurteile und Hass war 1945 nicht vorbei. Unser Widerstand gegen Homophobie, Vorurteile und Hass war mit der Aufhebung des § 175 auch 1994 nicht vorbei. Unser Widerstand gegen Homophobie, Vorurteile und Hass wird mit der Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer des § 175 auch 2017 nicht vorbei sein.
Widerstand – dafür stehen in den letzten beiden Jahrhunderten vor allem die Gewerkschaften.
Vor 22 Jahren haben wir hier gemeinsam mit der ÖTV (heute VER.DI) das Mahnmal für die schwulen und lesbischen Opfer des Nationalsozialismus eingeweiht. Die ÖTV - Kreis Köln war offizieller Antragsteller. Sich in Gewerkschaften organisieren und Widerstand leisten. Auch das ist gelebte Erinnerungskultur. Daher möchte ich an Euch appellieren: Lasst uns Bündnisse schmieden, in Parteien und Gewerkschaften eintreten, in Vereinen und Initiativen mitmischen, Begeisterung für Partizipation und Engagement schaffen, es gemeinsam anpacken. 2017 haben wir viele Gründe mehr, die sicher geglaubten Errungenschaften noch stärker zu verteidigen. Lasst uns in Erinnerung an die Opfer von Ausgrenzung, Hass und Gewalt uns nicht vereinnahmen von Angst vor Terror, Zuwanderung und Veränderung. Lasst uns also gemeinsam der aktuellen Stimmung andere Gefühle entgegensetzen, vor allem Solidarität, Empathie und Freude an einer vielfältigen Gesellschaft.