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Müttern, die eine lesbische Beziehung führten, wurde bis in die 90er Jahre das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen – ein neues Forschungsprojekt lässt Zeitzeug*innen zu Wort kommen

Queere Familien kämpfen bis heute um ihre rechtliche Gleichstellung – etwa beim Sorgerecht und der damit verbundenen rechtlichen Absicherung der Kinder. Bis in die 90er Jahre mussten Mütter, die eine gleichgeschlechtliche Beziehung führten, sogar damit rechnen, dass ihnen von Gerichten das Sorgerecht entzogen wurde. Ein neues Forschungsprojekt in NRW soll Aufschluss geben über diese Geschichte – und Zeitzeug*innen eine Stimme geben. Durchgeführt wird die Studie von Dr. Kirsten Plötz, in Trägerschaft des Queeren Netzwerks NRW.

Das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen fördert die Studie über den Entzug des Sorgerechts bei Müttern, die eine lesbische Beziehung führten, in den Jahren 1946 bis 2000. Bisher bekannte Quellen weisen darauf hin, dass Gerichte und Institutionen in Nordrhein-Westfalen durchaus unterschiedliche Entscheidungen trafen: In NRW gab es Forderungen von Institutionen, die verlangten, offen lesbisch lebende Mütter sollten nicht mit ihren Kindern leben dürfen. Andererseits fällte das Amtsgericht Mettmann 1984 das erste bekannte Urteil, das Homosexualität und Kindeswohl nicht als Gegensätze wertete. Aus Sicht des Amtsgerichts Mettmann war vielmehr die gute Beziehung der Kinder zur Mutter und zu deren Lebensgefährtin entscheidend.

Der Großteil der zurückliegenden Gerichtsentscheidungen über das Sorgerecht lesbisch lebender Mütter ist jedoch nicht bekannt. Alle Beteiligten, so eine Tageszeitung in den 1980er Jahren, seien auf äußerste Verschwiegenheit bedacht. Auch juristische Publikationen dokumentierten solche Fälle kaum. Ohnehin waren lesbische Beziehungen im 20. Jahrhundert in der Öffentlichkeit relativ unsichtbar. „Manche betroffene Mutter wird bis heute befürchten, der Entzug des Sorgerechts sei ihr persönliches Versagen – obwohl es eine Folge von Diskriminierung war,“ so Dr. Kirsten Plötz, Historikerin mit dem Forschungsschwerpunkt lesbische Geschichte.

Die aktuelle Studie soll daher das Wissen von Zeitzeug*innen einbeziehen – und damit Erkenntnislücken schließen und die Erfahrungen einzelner Menschen und Familien aussprechbar machen. „Als Interessensvertretung der queeren Communities ist es unsere Aufgabe, queere Lebensrealitäten sichtbar zu machen – auch dort, wo sie von Diskriminierung und Schmerz geprägt sind,“ so Dr. Vera Uppenkamp, Vorstandsmitglied des Queeren Netzwerks NRW. „Ohne Stigma über diese Erfahrungen reden zu können, ist unfassbar wichtig. Betroffene erfahren durch diese Sichtbarkeit, dass sie nicht allein sind – und für die politische Arbeit unserer Communities wird die Diskriminierung deutlich, gegen die wir als Gesellschaft laut und deutlich eintreten müssen.“

Familienministerin Josefine Paul betont die Bedeutung von Forschung über queere Lebens- und Unterdrückungsgeschichte: „Mir ist es sehr wichtig, die Aufarbeitung der historischen Verfolgung und Ausgrenzung von LSBTIQ* Menschen weiter fortzusetzen. Diskriminierung und Entrechtung hatten auch in der Bundesrepublik viele Facetten. Daher wollen wir mit dem Forschungsprojekt zum Sorgerechtsentzug einen bisher wenig bekannten und erforschten Aspekt der Diskriminierung von LSBTIQ* in den Blick nehmen. Dabei ist es wichtig, die Opfer zu Wort kommen zu lassen, ihre Geschichten sichtbar werden zu lassen und das erlittene Unrecht anzuerkennen. Wir leisten damit auch einen Beitrag zur Aufarbeitung bundesrepublikanischer Rechtsgeschichte.“

Als Queeres Netzwerk rufen wir alle, die mit solchen Sorgerechtsverfahren direkt oder indirekt zu tun hatten, auf, sich als Zeitzeug*in bei uns zu melden. Dazu gehören natürlich die betroffenen Mütter, aber auch deren Lebensgefährtinnen, die Kinder, die Väter, die Jugendamtsmitarbeiter*innen, Familienrechtsanwält*innen, Richter*innen; andere Verwandte der Kinder, Mitbewohner*innen, Erzieher*innen und andere, in deren Umfeld um das Sorgerecht von lesbisch lebenden Müttern gestritten wurde. Für den Kontext sind zudem Zeitzeug*innen über Verfahren um das Sorge- oder Umgangsrecht von schwul lebenden Vätern und von trans* Eltern gesucht.

Wichtig werden auch privat aufgehobene Schriftstücke sein. Vielleicht haben betroffene Mutter, der Vater oder die Kinder noch alte Schreiben und Urteile des Sorgerechtsstreits aufgehoben. Je mehr solcher Papiere bekannt werden, umso vollständiger kann das Gesamtbild werden. Selbstverständlich wird auf Wunsch die Anonymität aller Beteiligten gewahrt.

Forschen wird in unserem Auftrag die Historikerin Dr. Kirsten Plötz. Seit über 30 Jahren forscht sie über lesbische Geschichte; sie ist Expertin für den Entzug des Sorgerechts wegen lesbischen Begehrens. Mehr über ihre vorige Forschung zum Sorgerechtsentzug in Rheinland-Pfalz auf der Website sorgerecht-lesbischer-muetter.de, die von der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld unterstützt wird. Eng begleitet wird das Projekt in seiner Umsetzung außerdem durch das Besondere Organ LAG Lesben innerhalb des Queeren Netzwerks NRW, das lesbische Perspektiven innerhalb der Vereinsstrukturen und queeren Communities sichtbar macht und vertritt.

Zeitzeug*innen wenden sich bitte an sorgerecht@queeres-netzwerk.nrw.


Anmerkung: Im Mittelpunkt des Forschungsprojekts stehen die Erfahrungen von Menschen, die als Frauen in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung wahrgenommen wurden und deshalb Diskriminierung erfahren haben - also neben lesbischen Frauen auch die Erfahrungen von bisexuellen Frauen, nichtbinären Menschen und trans* Männern.


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