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"Wir sind ja gesprächsbereit"

Interview mit Dr. Markus Verbeet (stellv. Ressortleiter Deutschland) zur Verleihung der Kompassnadel 2013 an die Redaktionen von Spiegel und Spiegel online

[caption id="attachment_616" align="alignright" width="300"]Dr. Markus Verbeet (stellv. Ressortleiter Deutschland) vom Spiegel bei der Verleihung der Kompassnadel, Köln 06.07.2013 Dr. Markus Verbeet (stellv. Ressortleiter Deutschland) vom Spiegel bei der Verleihung der Kompassnadel, Köln 06.07.2013[/caption]

Herr Verbeet, der Laudator Marcel Dams hat in seiner Rede auf die Bedeutung von Spiegel und Spiegel online als Informationsquelle für Homosexuelle seiner Generation hingewiesen. Ein ganz konkretes und sehr persönliches Feedback – Redaktionsalltag oder doch ein besonderes Kompliment?

Wir haben uns sehr darüber gefreut, dass jemand erklärt, warum wir diesen Preis bekommen und dass wir ihn auch verdient haben – gerade weil die Verleihung ja auch kritisch gesehen wurde und es viel Diskussionsbedarf gab und weiterhin gibt. Die Laudatio war sicherlich keine klassische Lobrede, ich habe sie aber als gut und angemessen empfunden. Denn man darf und muss unsere Berichte über HIV und Aids aus den 1980er Jahren hinterfragen. Es ist gut, dass nichts unter den Teppich gekehrt wurde.

In Ihrer Rede haben Sie von den internen Diskussionen berichtet, die es damals um diese Berichte gab. Sie selbst sind Jahrgang 1974 und haben somit die Aidskrise ja nicht als Journalist verfolgen können. Wenn man heute diese Hausmitteilungen von damals liest – kann man das überhaupt noch nachvollziehen?

Ich habe zum Glück nicht nur die Berichte lesen, sondern auch mit einigen Kollegen sprechen können, die damals schon im Haus gearbeitet haben. Dass die Diskussionen heftig waren, daran konnten sich alle gut erinnern. Aber eine Berichterstattung 30 Jahre später zu beurteilen, ist nicht einfach – unabhängig vom Thema. Beispielsweise was die medizinischen Prognosen angeht, die sich als falsch herausgestellt haben; da stellt sich heute die Frage, was wir besser hätten wissen können. Eine Antwort ist, ehrlich gesagt, nicht immer leicht zu finden, wenn man die Berichterstattung aus ihrer Zeit heraus beurteilen will.

Sie haben vor der Veranstaltung mit Menschen gesprochen, die sich mit der Verleihung aus ganz persönlichen Gründen sehr schwer tun. Wie haben Sie diese Gespräche empfunden?

Ich bin dankbar, dass sie überhaupt stattgefunden haben. Das war ein großer Schritt, weil im Vorfeld ja nicht wenige Kritiker zu einem Boykott der Veranstaltung aufgerufen haben, was ich nicht klug und auch nicht gerechtfertigt fand. Wir sind ja gesprächsbereit und darum froh, wenn jemand die Diskussion sucht. Ob es meinen Gesprächspartnern etwas gebracht hat, mit mir zu reden, müssten Sie bitte diese fragen; ich darf es hoffen. Mir persönlich haben die Gespräche unter anderem die Augen dafür geöffnet, wie tief die Verletzungen waren, die die Berichte damals hervorgerufen haben – deutlich stärker, als ich das geahnt hatte. Dass wir solche Verletzungen durch unsere Berichterstattung hervorgerufen haben, bedauern wir sehr.

Als klar war, dass Sie den Preis entgegennehmen werden, hatten Sie eine Vorstellung, was für ein sensibles Thema da auf Sie zukommt?

Wir kennen unsere frühere Berichterstattung ja mindestens so gut wie Andere. Insofern hat es uns nicht überrascht, dass es auch kritische Stimmen gab und gibt. Dass ein Wandel konstatiert und uns der Preis zuerkannt wird, hat uns umso mehr gefreut.

Reflektiert dieser Wandel im Spiegel/bei Spiegel online vor allem die Veränderungen in der gesellschaftlichen Akzeptanz oder haben die beiden Medien auch die Aufgabe, solche Themen voranzutreiben?

Ich hoffe doch nicht, dass wir nur Spiegel der Gesellschaft sind in dem Sinne, dass wir nur die Mehrheitsmeinung wiedergäben. Wenn wir uns beispielsweise die 1970er Jahre anschauen, als die gesellschaftliche Situation von Homosexuellen noch eine ganz andere war, da waren wir in der Berichterstattung fortschrittlich. Es gehört ganz klar zu unserem Anspruch, gesellschaftliche Tendenzen und Strömungen nicht nur aufzunehmen, sondern durch unsere Berichterstattung auch Gedankenanstöße zu liefern und dadurch Wandel zu befördern.

Wie hat Ihr Haus die Preisverleihung aufgegriffen?

Wir haben zwei Tage nach der Preisverleihung die wöchentliche Redaktionskonferenz genutzt. Dort haben wir in der größten Runde im Haus, mit Chefredaktion, Ressortleitern und vielen Redakteuren, über die Verleihung des Preises und unsere Berichterstattung gesprochen. Außerdem gab es einen ausführlichen Beitrag in unserem Redaktionsblog bei Spiegel Online, einen kurze Meldung im Heft sowie einen Hinweis für alle Mitarbeiter in unserem Intranet.

Mit welchen schwulen Themen müssen wir in den nächsten Monaten rechnen?

Über künftige Berichte reden wir ganz grundsätzlich nicht. Aber lassen Sie uns doch einen Blick auf ein paar Texte werfen, die seit der Preisverleihung erschienen sind. Da gab es beispielsweise einen Bericht über das Engagement des niederländischen Fußballtrainers Louis van Gaal für die Rechte Homosexueller und eine Meldung über antidemokratische und homophobe Tendenzen innerhalb der Partei „Alternative für Deutschland“. Daran kann man vielleicht erkennen, dass uns diese Themen wichtig sind und wir nicht nachlassen werden.

Interview: Johannes J. Arens

Rede von Dr. Markus Verbeet bei der Preisverleihung auf youtube.de 

 

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