Wir als Queeres Netzwerk NRW begrüßen die lang erwartete Veröffentlichung der S2k-Leitlinie zur Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter – Diagnostik und Behandlung.
Die Leitlinie legt dar, wie die medizinische Begleitung von behandlungssuchenden jungen trans* und nichtbinären Menschen gelingen kann. Zentrale Grundsätze sind die Achtung der Selbstbestimmung und die Orientierung am Einzelfall. Die Leitlinie (AWMF-Register-Nr. 028-014) kann hier heruntergeladen werden.
Zwar ist die Leitlinie nicht bindend, aber sie bietet medizinischen Fachkräften eine Orientierungshilfe und konkrete praktische Empfehlungen. Die Leitlinie bildet die aktuelle Studienlage ab und wurde unter Mitarbeit von Selbstvertretungsorganisationen (dem Bundesverband Trans* e.V. und TransKinderNetz e.V.) erarbeitet. So kann die Leitlinie dazu beitragen, noch bestehende pathologisierende Ansätze von Behandler*innen aufzulösen, und sie zeigt Fachkräften auf, wie sie die jungen Menschen bedarfsorientiert und sensibel behandeln können.
Dies ist dringend notwendig, da trans* und nichtbinäre Kinder und Jugendliche ganz besonders damit konfrontiert sind, dass ihnen die Fähigkeit zur geschlechtlichen Selbstbestimmung abgesprochen wird. Auch die Ergebnisse der vom Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegebenen Lebenslagen-Studie „Queer durch NRW“ zeigen dringenden Handlungsbedarf auf: In der Studie gab mehr als jede dritte nichtbinäre und binäre trans* Person an, bei einem besonderen Bedarf aufgrund ihrer Geschlechtsidentität selten oder nie kompetent durch das Gesundheitspersonal beraten worden zu sein.
Während es lebensrettend sein kann, junge trans* und nichtbinäre Menschen in ihrer Identitätsfindung zu begleiten, sie in ihrer Identität zu akzeptieren und ihnen den Zugang zu benötigten (z.B. medizinischen) Maßnahmen zu gewähren, wird diese Unterstützung fälschlicherweise häufig als Gefahr dargestellt. Die Instrumentalisierung der angeblichen Sorge um das Kindeswohl ist eine präsente Strategie rechter und rechts-konservativer Akteur*innen in Politik und Medien. Umso relevanter ist es, dass diesem Narrativ mit der neuen Leitlinie eine fachliche Perspektive entgegengesetzt wird.
Erfreulich ist zudem, dass immer mehr Eltern, Fachkräfte und weitere Bezugspersonen sensibilisiert sind und trans*, nichtbinäre und gendernonkonforme Kinder und Jugendliche unterstützen möchten. Wichtige Arbeit in diesem Zusammenhang leistet das Projekt trans*sensibel des Queeren Netzwerks NRW, das (Wahl-)Familien von jungen trans* und nichtbinären Menschen sowie Fachkräfte in der (teil-)stationären Kinder- und Jugendhilfe begleitet und fortbildet. Gemeinsam mit unseren Fachstellen, Projekten und Kooperationspartner*innen arbeiten wir als Queeres Netzwerk NRW darauf hin, dass immer mehr Fachkräfte im medizinischen Bereich sowie auch beispielsweise in Bildungseinrichtungen mit Lebensrealitäten und Bedarfen von jungen trans* und nichtbinären Menschen vertrauter werden, um die Kinder und Jugendliche adäquat begleiten und unterstützen zu können.