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Selbstverständlich!

Am 05. Juli verleiht das Schwule Netzwerk NRW die Kompassnadel an Dr. Volker Jung, Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Ein Kommentar dazu von Dr. Beate Blatz.

Cross silhouette and the holy blue skyAls die Evangelische Kirche in Deutschland vor einem Jahr die Orientierungshilfe „Zwischen Autonomie und Angewiesenheit – Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“ veröffentlichte, habe ich mich erst einmal darüber gefreut, dass in einer offiziellen Verlautbarung der EKD gleichgeschlechtliche Lebensweisen als eine von vielen möglichen und gesellschaftlich bereits längst praktizierten Lebensgemeinschaften anerkannt werden. Das ist ein großer Schritt und ich erinnere mich an ganz andere, sehr dunkle Zeiten, als ich in den achtziger und neunziger Jahren im kirchlichen Dienst in Norddeutschland arbeitete. Damals wurden Klaus Brinker und Hans-Jürgen Meyer in Hannover ihrer Ämter als Pastoren enthoben, weil sie offen zu ihrem Schwulsein standen. Dass die Gemeinden, in denen die beiden arbeiteten, eher an der Qualität der Arbeit und nicht an der Lebensweise interessiert waren, interessierte die Amtskirche damals wenig.

Während eines Projektes zur Untersuchung der Geschichte der Landeskirche entdeckte ich, dass eine der ersten in Deutschland überhaupt zugelassenen Theologinnen, Margarete Daasch, in Hannover gearbeitet hatte und in den fünfziger Jahren unter merkwürdigen Umständen ebenfalls ihres Amtes enthoben und versetzt worden war. Als inoffizielle Begründung nannte sie selbst, dass sie lesbisch sei. Als ich darum bat, dass die Landeskirche ihr doch bitte zum 85. Geburtstag gratulieren möge, um nach Jahrzehnten des Schweigens doch wenigstens ein Zeichen zu setzen, wurde diese Bitte von höchster Stelle genau mit der Begründung abgelehnt.

Klaus Brinker und Hans-Jürgen Meyer haben in Hannover Kirchengeschichte geschrieben, indem sie die Rechtsstreitigkeiten und Diskriminierung, die ihnen seitens des Arbeitgebers Kirche widerfuhr, öffentlich gemacht haben. Margarete Daasch wäre beinahe in Vergessenheit geraten.

Seitdem ist viel passiert.

Ich sage das jetzt sehr bewusst vor allem auch, weil sich Schwule und Lesben nicht haben abdrängen lassen, sondern weil sie sich organisierten, protestierten und immer wieder Öffentlichkeit herstellten. Die EKD und ihre Landeskirchen haben sich mehr oder weniger zögerlich mit dem Thema Lebensformen auseinandergesetzt. Dem Rat der EKD kommt dabei die nicht ganz einfache Rolle zu, sowohl den seelsorgerlichen und gesellschaftspolitischen Auftrag von Kirche wahrzunehmen als dafür zu sorgen, dass die sehr unterschiedlich fortschrittlichen Landeskirchen miteinander im Gespräch bleiben.

Und es hat einen Wechsel an den Spitzen der Landeskirchen gegeben, im Zuge dessen eine Öffnung für andere als heteronormativen Lebensweisen erfolgte. In Hannover wurden Klaus Brinker und Hans-Jürgen Meyer rehabilitiert, Klaus Brinker hat das leider nicht mehr erlebt. Und jetzt die Orientierungshilfe und die teilweise sehr heftig geführte Diskussion, ob Kirche denn „so weit“ gehen dürfe. Das Gute: es gibt keine verordnete „evangelische Meinung“. Das ist eine Stärke, das ist die Aufforderung zum eigenständigen Denken. Bei aller notwendigen konstruktiven Kritik bleibt festzustellen, dass zumindest in der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihren Stukturen Heteronormativität kein Leitbild mehr sein kann. Grund genug, die Kräfte, die innerhalb der Kirche(n) dazu beitragen, dass Lesben, Schwule, Bi, Trans* und Inter* mit ihren Anliegen wahrgenommen werden, dass Kirche ihrem Auftrag, Menschenrechte zu wahren nachkommt, zu unterstützen. Grund genug, kritisch zu bleiben und im Gespräch zu bleiben.

Die Orientierungshilfe ist ein Zeichen.

Die Diskussion um die Gleichberechtigung unterschiedlicher Lebensweisen scheint verebbt. Jetzt kommt der Impuls, es nicht bei der Veröffentlichung bewenden zu lassen, sondern weiter zu diskutieren und zu verändern, wieder aus der Community– nämlich durch die Verleihung der Kompassnadel an Volker Jung. Und das Familienbild ist ja nur eines der vielen Themen, um die es geht. 

Wenn Kirche sich und ihre Botschaft ernst nimmt, dann muss sie sich selbst weiter bewegen, LSBTI* Themen gehören dann ganz selbstverständlich auf die Agenden kirchlicher Gremien, sowohl in der Arbeitsrechtlichen Kommission, als auch in den diakonischen Einrichtungen. Kultursensible Pflege und der sensible Umgang mit älteren Lesben, Schwulen und Trans* gehören ins Leitbild jeder kirchlichen Kranken- und Pflegeeinrichtung, die Mitarbeiter_innen in kirchlichen Kindergärten und Familienberatungsstätten müssten Fortbildungen z.B. zum Thema Regenbogenfamilien und Intersexualität anbieten. Über ihre Auslands- und Ökumenereferate und nicht zuletzt über ihre Entwicklungsdienste hat die Kirche Zugang zu nationalen und internationalen politischen und kirchenpolitischen Foren, warum nicht die Vergabe von Projektgeldern unter anderem davon abhängig machen, wie die Antragstellenden LSBTI* unterstützen?

Noch ein letzter Satz: es ist gut, dass LSBTI*-Themen in der Orientierungshilfe sehr selbstverständlich behandelt werden. Doch Papier ist bekannter Maßen geduldig. Lesben, Schwule, Bisexuelle, Inter-* und Trans*-Menschen sind aber inzwischen sehr ungeduldig. Will die evangelische Kirche sie dauerhaft willkommen heißen und zurückgewinnen, so müssen den selbstverständlichen Worten jetzt selbstverständliche Taten folgen und zwar im tagtäglichen Handeln und Reden der evangelischen Kirche und ihrer Repräsentant_innen.


BeateBlatz2Seit 2012 ist Dr. Beate Blatz als Geschäftsführerin des RUBICON/Sozialwerks für Lesben und Schwule in Köln tätig. Sie engagiert sich dafür, dass lesbische, schwule, bisexuelle und trans*idente Menschen jeden Alters, jeder Herkunft, Hautfarbe, Befähigung und religiösen Zugehörigkeit selbstbewusst und selbstbestimmt leben und lieben können. Nach dem Abitur studierte sie Anglistik, Vergleichende Religionswissenschaften und Evangelische Theologie. Sie promovierte 1984 im Fach Vergleichende Religionswissenschaften in Bonn. Dr. Blatz arbeitete über 16 Jahre in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, u.a. für das Diakonische Werk der Ev.-luth . Landeskirche in Braunschweig, Brot für die Welt und die Diakonie Katastrophenhilfe. Von 2006 bis 2011 war sie Leiterin der Evangelischen Frauen in Deutschland e.V. und Mitglied in unterschiedlichen Gremien der Hannoverschen Landeskirche sowie im Deutschen Weltgebetstagskomitee. 

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