Am 16. Januar 2015 fand der alljährliche Neujahrsempfang des Schwulen Netzwerks NRW statt - zum zweiten Mal in den Räumen des DBG-Hauses in Köln. Über 100 Gäste aus Politik, Verwaltung, Mitgliedsgruppen und befreundeten Organisationen waren gekommen, um sich über die Arbeit von Lesben, Schwulen und Trans* in NRW auszutauschen. Vor dem geselligen Beisammensein, das für unseren Verband traditionell die Zusammenarbeit für das neue Jahr einläutet, ging der Landesvorsitzende Steffen Schwab in einer Rede auf die vergangenen und kommenden Ereignisse des Jahreswechsels ein, bevor er die gespannt erwarteten Preisträger der Kompassnadel 2015 bekannt gab. Vorab begrüßte er die Anwesenden.
Unter den Gästen waren unter anderem die Landtagsabgeordneten Ingrid Hack, Lisa Steinmann, Andrea Asch, Josefine Paul und Arndt Klocke. Aus der Kölner Politik waren vertreten: Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes, Bürgermeister Andreas Wolter, die Stadtverordneten Svenja Rabenstein und Ralph Sterck sowie Sozialdezernentin Henriette Reker. Zudem konnte Steffen Schwab in seiner Begrüßung die Vorstände, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Aidshilfe, der Aidshilfe NRW, der ARCUS Stiftung, der LAG Lesben und des LSVD NRW willkommen heißen.
"Im Dezember hat der Landtag beschlossen, dass künftig LAG Lesben und Schwules Netzwerk gemeinsam einen Sitz in der Medienkommission der Landesanstalt für Medien haben. Das macht uns ein bisschen stolz - nicht nur, weil wir meinen, dass wir einen kompetenten Beitrag zur Medienaufsicht zu leisten haben. Sondern auch, weil diese, übrigens einstimmige Berufung nichts anderes bedeutet als die Aufnahme in den exklusiven Zirkel der, wie es in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten so schön heißt, "gesellschaftlich relevanten Kräfte". Nicht, dass wir jemals daran gezweifelt hätten.
Als wir uns vor knapp einem Jahr hier getroffen hatten, enterten gerade besorgte Eltern die Bühne, die Debatte über den Bildungsplan in Baden-Württemberg kam in Fahrt. Heute, ein Jahr später, ist es wohl zutreffender, von angeblich besorgten, oder auch von Besorgnis erregenden Eltern zu sprechen, denen es in Wirklichkeit, im Schulterschuss mit rechtsgerichteter Publizistik und einer entsprechenden parteipolitischen Repräsentanz, um viel mehr als den Inhalt von Schulunterricht geht: Sie führen eine aggressive Kampagne gegen die Öffnung unserer Gesellschaft für eine Vielfalt von gleichberechtigten Lebensformen, eine Kampagne gegen die Akzeptanz von Lesben und Schwulen. Dazu ist ihnen jede Herabwürdigung, jede Verleumdung, jeder Rufmord Recht, den sie an den Menschen begehen, die für uns in Aufklärungs-, Bildungs- und Forschungsprojekten arbeiten, die in der Politik unsere Interessen vertreten.
Wir werden das nicht hinnehmen.
Wir sind stolz auf machtvolle Demonstrationen, bei denen die Mehrheit dieser Gesellschaft auf unserer Seite steht. Wir werden weiter aufklären und informieren - unsere Freundinnen und Freunde in Politik und Verwaltung werden mit Sicherheit größtes Verständnis haben, wenn wir um die Finanzierung entsprechender Projekte bitten. Wobei uns weniger denn je klar ist, warum eigentlich die Kosten der diversen Akzeptanzkampagnen immer auf unsere Budgets gebucht werden - als ob wir das Problem wären. Dabei sind die Verursacher, die Hetzer und Verleumder, doch bekannt.
Mir war lange klar, dass wir heute Abend nicht nur über angeblich besorgte Eltern, sondern auch über Pegida sprechen müssen. Zu eindeutig sind die Parallelen, die Argumentations- und Verhaltensmuster dieser - nicht Bewegung, sagen wir, Erscheinung. In ihr Weltbild passen Menschen mit anderen Religionen als der eigenen nicht. Auch nicht Menschen aus anderen Kulturen. Oder mit anderen sexuellen Identitäten. Weil sie eben alles und alle ablehnen, die anders, die fremd sind. Natürlich mit Abstufungen. Ein Islamist sei schlimmer als ein ganzes Stadion voller Homosexueller - dieses Statement entlockte jüngst die Heute-Show einem Pegida-Demonstranten. Vor nicht einmal drei Jahren haben wir auf einer Fachtagung in Bochum, veranstaltet von der Ruhr-Universität und dem MGEPA, die Ergebnisse der Studie über gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit kennen gelernt. Pegida bestätigt sie Punkt für Punkt. Es gibt Pegida, weil es diesen Bodensatz an menschen- und demokratiefeindlichem Denken in Deutschland gibt, mal weniger, mal mehr sichtbar, aber zu keiner Zeit wirklich verschwunden.
Ich hätte heute dazu noch mehr und anderes gesagt - wenn es nicht den letzten Mittwoch und Donnerstag gegeben hätte, an dem religiös motivierte Terroristen in Paris meine Journalisten-Kolleginnen und -Kollegen von Charlie Hebdo, Kunden eines jüdischen Supermarkts und eine Polizeibeamtin ermordet haben. Das macht mich nicht stumm, führt mich aber dazu, jetzt vor allem für eins einzutreten: Die aufzuhalten, die uns, mit welchen Mitteln auch immer, unsere Freiheit nehmen wollen - unsere Freiheit zu denken, zu reden, zu leben. Und das gemeinsam mit allen zu tun, die guten Willens sind.
Es ist übrigens auch ein Fehler, sich auszuklinken aus dem, was die Rechtspopulisten als Homolobby denunzieren. Wir wünschen uns tatsächlich, dass unsere Vereine und Gruppen sich noch mehr füllen mit schwulen, lesbischen, Bi- und Trans-Menschen, die Lobby sein wollen. Nicht immer so, wie heute Abend, das wissen unsere Gäste aus der Politik, sondern meist etwas unsinnlicher in Sitzungsräumen und an Konferenztischen. Gern wieder etwas öfter, auch wenn keine Krisen zu managen, sondern nur gute Ideen zu entwickeln sind.
Ich bleibe beim Thema und komme zu unseren Kompassnadeln.
Die Kompassnadel gibt übrigens derzeit bei den amtierenden und künftigen Preisträgern, natürlich mit deren Einverständnis, nur ein verkürztes Gastspiel. Sie ist nämlich derzeit Exponat in der Ausstellung "Schamlos? - Sexualmoral im Wandel", die im Haus der Geschichte gezeigt wird, bis April in Leipzig und ab Mai in Bonn.
Wir haben uns für zwei Preisträger entschieden, die auf ihre jeweils eigene Weise wegweisende Beiträge gegen Homo- und Transphobie und damit auch für die Akzeptanz von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen leisten - eine Entscheidung übrigens, die wir erstmals mit Unterstützung eines Beirates getroffen haben, der die Recherchearbeit geleistet und dem Vorstand eine Empfehlung gegeben hat. Herzlichen Dank dafür an Dominik Frohn, Reinhard Klenke, Georg Roth und Olaf Wozniak, die diesen ersten Beirat gemeinsam mit den Netzwerk-Vorständen Knut Dehnen und Jürgen Rausch gebildet haben.
Den ersten Preisträger muss ich vielen von euch nicht vorstellen - ihr kennt den früheren Landesvorsitzenden der Aidshilfe NRW. Die Kompassnadel für herausragendes ehrenamtliches Engagement verleihen wir am 4. Juli im Gürzenich an Michael Jähme. Michael steht für das Zeitzeug_innen-Projekt, das unter dem Dach der Arcus-Stiftung und deren Arbeitskreis Wiedergutmachung entstanden ist. Michael führt biografische Interviews mit schwulen Männern, die in der Bundesrepublik nach 1945 mit dem Nazi-Strafrechtsparagrafen 175 verfolgt worden sind. Er sichert damit eine "andere Erinnerung" - so heißt auch das Archiv der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Er konfrontiert mit diesen Erinnerungen unseren Staat - wenn er keine Konsequenzen aus diesem Unrecht zieht, wie ist es dann tatsächlich um die Akzeptanz unserer Minderheit bestellt?
Mit den Erinnerungen, die Michael aufzeichnet, wird zugleich den nachgewachsenen Generationen eines klar gemacht: Das, was wir an Gleichberechtigung gewonnen haben, haben wir selbst erstritten. Und was wir haben, können wir, siehe angeblich besorgte Eltern und Pegida, auch wieder verlieren, wenn wir es nicht verteidigen. Michael steht persönlich dafür, dass wir als Community durch Solidarität stark sind, wie sie die Aids-Selbsthilfe seit den 1980er Jahren beweist, bei Bedarf durch produktiven Streit, nicht durch Ausgrenzung. Herzlichen Glückwunsch, Michael.
Die Kompassnadel für herausragendes prominentes Engagement bei der Förderung der gesellschaftlichen Akzeptanz von Schwulen und Lesben verleihen wir an Stephan Denzer. Er war Kampfposaunist im Luftwaffenmusikkorps der Bundeswehr, hat in Köln Comedy studiert. Und ist Erfinder der heute show. Dafür bekommt er als Redaktionsleiter, stellvertretend für das Team, das am 4.Juli sicher ebenfalls prominent vertreten sein wird, unsere Auszeichnung: für das konsequente Eintreten für eine offene Gesellschaft, für das stetige Entlarven homo- und transphober Hetzer und Verleumder - eine Haltung, die so subversiv wie publikumswirksam ist. Wir freuen uns über ihn. Und wir freuen uns auf ihn und seine Leute."
]]>